Von den Ciboneys und Taino Arauak, also amero-indischen Völkern, die sowohl die Großen Antillen als auch die Caribs einst besiedelten, sind wenig genug Spuren in der karibischen Musik erhalten; um 1570 waren diese Stämme durch das Vordringen der europäischen Kolonisatoren praktisch ausgerottet. Bei einem areito genannten Ritual – überliefert aus dem späten 16. Jahrhundert – wurden Instrumente wie Rasseln, Schraper und Schlitztrommeln zum Tanz gespielt. Bei den gleichzeitig ertönenden Vokalstimmen handelte es sich um Responsorien-Gesänge. Die Restkenntnisse von der so lange zurückliegenden kulturellen Vergangenheit beleben aber auf Kuba und in Puerto Rico bis heute eine nationale Rückbesinnung.

Dies bedeutet gleichzeitig, dass traditionelle Klänge auch in die bald auf den Inseln etablierten europäischen Kunstformen übergingen. Daher existieren zahlreiche karibische Versionen von Volksliedern und Tänzen aus Spanien, Frankreich und Großbritannien. Auch katholische und evangelische Kirchenlieder und religiöse von Musik untermalte Schauspiele wurden in spezifischer Weise adaptiert, das heißt mit neoafrikanischen Repertoires ähnlicher Funktion – nicht nur aus der Zeit der Sklaverei – verknüpft.
Die Entwicklung der urbanen Popularmusik in der Karibik beruht ebenso auf der Verbreitung europäischer Gesellschaftstänze des 19. Jahrhunderts, insbesondere von Contredanse, Polka, Quadrille, Menuett, Mazurka oder Walzer. Daher hat der Besucher auf Kuba beim Hören von öffentlicher Musik häufig den Eindruck, „antiquierte“ Strukturen aus anderen als afrokubanischen Zusammenhängen wahrzunehmen. Hinzu kommt, dass viele der heute lebenden Popularmusiker eine klassische Ausbildung am Klavier genossen haben – wie in der spätkolonialen Epoche vor Fidel Castros Revolution üblich.

Wer sich einen Überblick über ältere karibische Musik verschaffen will, dem sei geraten, sich die rare Sammlung Odisea Negra-Musik aus Afrika und der Karibik (B005MQJP1M) anzuhören. Sie bietet sowohl afrikanische als auch transformierte europäische Musik aus der Zeit der Verschleppung und der frühen Jahrhunderte der Sklaverei, wobei auch die indigen karibischen Klänge berücksichtigt werden. Stücke und Lieder von Santiago de Murcia und Gaspar Fernandes treffen sich hier mit „originalen“ afrikanisch-karibischen Melodien und Instrumentationen.
Eduardo Egüez hat hier mit seinem Ensemble La Chimera und Gastmusikern aus dem Senegal, Kuba und Venezuela Negrillas, Habaneras, Merengues und Sons sowie westafrikanische Traditionals aus dem 17. und 18. Jahrhundert eingespielt; hinzu kommen zwei rezitierte Gedichte aus der Dominikanischen Republik und Kuba. Auf der CD singt der senegalesische Griot Ablaye Cissoko und spielt die Kora, eine lautenartige Stegharfe aus Westafrika, auch zu eigenen Werken; der 18jährige Marimbaspieler und Sänger Simone Rubino trägt seinen Part dazu bei.
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