Melancholie, die der Krieg hinterlässt

Am Samstagabend war es so weit: Auf Initiative von Regisseur Marc Adam – im letzten Jahr unter anderem bereits mit der Turandot-Inszenierung auf den Domstufen erfolgreich – konnte die deutschsprachige Version von François Fayts zweiter Oper Le Sang noirDas schwarze Blut zum Anlass der Uraufführung verwendet werden. Hochkarätige Gäste des französischen Musik- und Kulturlebens waren daher zugegen: Neben dem Komponisten selbst und dem legendären Marcel Maréchal, bekannter Theaterschauspieler, Regisseur und der Librettist der Oper, der unter anderem durch seine Hauptrolle in Le Bourgeois Gentilhomme von Molière und Lully international für Furore sorgte, war der für diesen Abend prädestinierte Dirigent Jean-Paul Penin zu Gast, der 2006 in Erfurt schon einmal für das Musikdrama Fernand Cortez in Erfurt am Pult stand. Unter den Gästen befand sich außerdem Klaus Gronau, der Übersetzer des Librettos. Als sich Generalintendant Guy Montavon vor zwei Jahren in Paris aufhielt, traf er den Komponisten und es kam zu einer Verabredung in Erfurt, die schließlich zu der denkwürdigen und mit großem Beifall aufgenommenen Uraufführung am Vorabend zum ersten Advent in diesem Jahr führte.

Merlin (Máté Sólyom-Nagy)  im Studierzimmer mit dem ominösen Papagei im Hintergrund (Lutz Edelhoff)
Merlin (Máté Sólyom-Nagy) im Studierzimmer mit dem ominösen Papagei im Hintergrund (Lutz Edelhoff)

Der Vorabend des ersten Weltkriegs bildet dagegen die Kulisse des 1962 erschienenen Stücks Cripure von Louis Guilloux, das dieser auf der Basis seines Romans Le Sang noir von 1935, des Buchs der „Volksfront“ schlechthin, schrieb. Der Titel Das schwarze Blut verweist auf die allumfassende Melancholie, die Krieg, Isolation und Einsamkeit im Individuum erzeugen. Nicht zufällig erinnert die Erfurter Uraufführung damit auch an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Guilloux mochten die Eindrücke von einer Reise in die Sowjetunion zusammen mit André Gide und anderen links orientierten Schriftstellern zur Bühnenfassung motiviert haben. Schon 1967 sorgte Marc Maréchal als Regisseur und in der Hauptrolle für die Taufe der Theaterversion in Lyon. Erst 1973 kam das Stück trotz seiner gesamteuropäisch und gerade auch für Deutschland relevanten Thematik in deutscher Übersetzung heraus.

Stimmgewaltig am 29.11. im Theater Erfurt: Nils Stäfe in der Café-Szene (L. Edelhoff).
Stimmgewaltig am 29.11. im Theater Erfurt: Nils Stäfe (Mitte) in der Café-Szene (L. Edelhoff).

Der Philosophielehrer François Merlin, Cripure genannt, lebt isoliert in einer Kleinstadt zusammen mit der ehemaligen Prostituierten Maia und einem merkwürdigen Papagei Plato, der nicht zuletzt als Omen fungiert. Cripures unehelicher Sohn Amédée verbringt den Urlaub von der Front bei seinem Vater, will aber wieder in den Krieg zurückkehren. Merlin verdächtigt seinen neidischen Nachbarn und Kollegen Nabucet, seine Fahrräder manipuliert zu haben, die er zu Ausfahrten mit Maia nutzt.  Cripure erfährt im zweiten Akt, dass seinem Sohn in Paris wegen Meuterei die Hinrichtung droht, weshalb er nach Paris aufbrechen will, um das Schlimmste zu verhindern. Im Tumult einer Rebellion von Soldaten am Bahnhof beschimpft Nabucet die Meuterer, woraufhin ihm Merlin eine Ohrfeige verpasst. Diese ist Anlass für Nabucets Forderung zum Duell, das noch rechtzeitig abgewendet werden kann. Die Hauptfigur, kongenial interpretiert übrigens von Bariton Máté Sólyom-Nagy, bemerkt nach einem Spaziergang, dass seine eigenen Hunde das einzige Manuskript seiner neuen Studie zerfetzt haben, Anlass für seinen unmittelbaren Selbstmord.

Am Bahnhof: Glâtre (Nils Stäfe) interessiert sich mehr für Würstchen als für Meuterei und Krieg (L. Edelhoff).
Am Bahnhof: Glâtre (Nils Stäfe) interessiert sich mehr für Würstchen als für Meuterei und Krieg (L. Edelhoff).

François Fayt, der aus dem Département Calvados stammt und am Konservatorium in Versailles, in Paris,  Michigan und New York studierte, machte sich in den letzten Jahren nicht nur als Urheber sakraler Musik, darunter eines Requiems, einer Vertonung des Johannes-Evangeliums und eines Stabat mater einen Namen, sondern auch durch Kammermusik – Ellison’s Quatuor wurde 2004 durch das Brüsseler Streichquartett zum ersten Mal aufgeführt, ein Klavierquintett entstand durch den Auftrag des Australian String Quartet für die Milleniumsfeiern im Jahr 2000 in Sydney. Fayt komponiert auch symphonische Musik und schrieb für das Klavier die Sonate Ostinato (1981) und Journal Symphonique (1991).

Am Bahnhof prallen die Parteien aufeinander: Auch Nabucet und Merlin geraten aneinander. (L. Edelhoff)
Am Bahnhof prallen die Parteien aufeinander: Auch Nabucet und Merlin geraten aneinander. (L. Edelhoff)

Die melodische Deklamation der Vokalpartien in seiner aktuellen Oper Le Sang noir steht den Werken anderer zeitgenössischer Musiktheaterkomponisten in Europa nahe, man denke an Aribert Reimann oder Hans-Werner Henze. Was sie allerdings unverwechselbar macht, ist eine Kombination aus komplexer, oft kontrapunktischer Harmonik mit Durchhörbarkeit und einer gesanglich-transparenten Melodik, die allerdings durch extreme Sprünge überrascht. Gelegentlich erklingen – weiniger im Sinne eines Zitats als einer ironischen Einfärbung – auch traditionelle Rhythmus- und Melosmuster wie etwa die Anspielung auf einen Trauermarsch im dritten Akt, der nicht zuletzt mit dem Kriegsgeschehen im Hintergrund korreliert. Besondere Klangfarben erzeugt Fayt beispielsweise durch „aufgerollte“ stakkatierte Akkorde in den Bläsern als sinnfälliger Begleitung zum gesungenen Text. Außerdem wird das Schlagwerk differenziert eingesetzt: Das Ostinato-Reiben des Besens unterstreicht inn einer längeren Passage die Dramatik der Bühnenhandlung.

Dritter Akt: Cripure alias Merlin will den Verzicht auf das Duell zunächst nicht unterschreiben, obwohl er von Maia (Katja Bildt) dazu gedrängt wird (L. Edelhoff).
Dritter Akt: Cripure alias Merlin will den Verzicht auf das Duell zunächst nicht unterschreiben, obwohl er von Maia (Katja Bildt) dazu gedrängt wird (L. Edelhoff).

Außer der groß angelegten Dramaturgie von Arne Langer und der passgenauen Ausstattung durch Hank Irwin Kittel mit dem Jahr 1917 gemäßer Kostümierung überzeugte das flexible und gerade auch im Hinblick auf das Bahnhofsambiente stimmige Bühnenbild. Das Café-Szenario wird als zweiter, mittlerer Akt bildwörtlich in die Bühne ein- und ausgeschoben. Im ersten und dritten Akt ist Merlin zwischen Stapeln von idealismusverdächtigen philosophischen Büchern auf seinem Sofa umrahmt von düsterem, seitlich abgedunkeltem Mobiliar mit unaufhörlich heranwalzender Meeresbrandung im Hintergrund zu sehen. Als stimmlich überragend erwiesen sich neben dessen Verkörperung durch Máté Sólyom-Nagy der voluminöse Bass Nils Stäfes als Glâtre im Café und Katja Bildt als „Haushälterin“ Maia, die Merlin durch sein Testament als Erbin einsetzt und die er im Falle des gewonnenen Duells heiraten will. Beifall gab es genug, auch für den bescheidenen und gleichzeitig tiefsinnigen Künstler und Komponisten François Fayt, der sich vor dem letzten Vorhang noch dem Publikum vorstellte.

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