Im Stimmengewirr von São Paulo

Gewiss war es weder heute noch in den 1950er Jahren für einen Komponisten einfach, sich in der momentan weltweit zehntgrößten Stadt São Paulo ausreichend Gehör zu verschaffen. Almeida Prado war von Haus aus ein Pianist, der bereits mit 23 Jahren seine Variações para piano e Orquestra vorlegte und dessen Werk mit vierhundert Nummern nicht nur im brasilianischen klassischen Konzertleben vielerorts gegenwärtig ist – sogar in einer Metropole wie São Paulo, in dessen riesigem Kulturkarussell sich so mancher Künstler eigentlich wie eine Eintagsfliege fühlen müsste.

Komponisten aus Brasilien unter sich: Renato Mismetti und Almeids Prado (links) in Bremen (Dietrich Hilmi, CC-Lizenz).
Musikschaffende aus Brasilien unter sich: der Sänger Renato Mismetti mit Almeids Prado (1943 – 2010, im Bild rechts) in Bremen (Dietrich Hilmi, CC-Liz.).

José Antônio Rezende de Almeida Prado, der 1943 in Santos geboren wurde, wo er zunächst am Konservatorium unterrichtete, verbrachte nach seiner Auszeichnung mit dem Guanabara-Preis 1968 zwar vier Jahre in Paris zum Zweck des Studiums bei Olivier Messiaen und Nadia Boulanger, etablierte sich aber wieder in São Paulo. Dort wirkte er als Musikpädagoge auch in theoretischen Fächern wie der Analyse weiter und verantwortete als Direktor den Betrieb einiger Institutionen zur musikalischen Ausbildung. Während seiner europäischen Jahre lernte der spätere Schöpfer der 14 Himmelsbriefe die Komponistenkollegen Györgyi Ligeti und Lukas Foss kennen. Dennoch wurde er am meisten von brasilianischen Lehrern und Vorbildern beeinflusst: insbesondere von Heitor Villa-Lobos, Gilberto Mendes und Osvaldo Lacerda.

Im Zentrum von Sao Paulo befindet sich das Konservatorium für Schauspiel, Musical und Artverwandte (Dornicke, 23.3.2009, p.d.).
Im Zentrum von São Paulo befindet sich das Konservatorium für Schauspiel, Musical und Artverwandte (Dornicke, 23.3.2009, p.d.).

Über ein Vierteljahrhundert sollte es dauern, bis Almeida Prado 2001 sein zum Zyklus ausgebautes Klavieropus Cartas Celestes mit der letzten Überarbeitung endgültig abschloss. Die maßgeblichen Teile erschienen 1974, zwischen 1982 und 1983 und 1985. Im Jahr 2000 entstand Cartas Celestes No. 8 in der Besetzung eines Violinkonzerts als Beitrag zur nationalen Feier der 500jährigen Wiederkehr der (europäischen) Entdeckung Brasiliens. Mit ihnen gewann er zunächst im Inland Popularität. Daneben verblassen die Orchesterwerke jedoch keineswegs. Sie spiegeln und verkörpern der instrumentalen Besetzung nach ebenso wie in ihrer Thematik brasilianisches Kulturgut und -leben: Bei Cidade de São Paulo handelt es sich gewissermaßen um ein Porträt, die Sinfonia dos orixás gilt dem afrobrasilianischen Kult um die vergöttlichte Natur, die konzertanten Variações concertantes para marimba, vibrafone e cordas beziehen „typisch“ brasilianische Instrumente in das traditionelle romantische Symphonieorchester ein.

Beim Naxos-Vertrieb liegt diese aktuelle CD mit Prados Cartas Celestes 1, 2, 3 und 15 vor, eingespielt von Aleyson Scopel (Grand Piano B01BFZN0HI).
Bei Naxos liegt diese aktuelle CD mit Prados Cartas Celestes 1, 2, 3 und 15 vor, eingespielt von dem jungen brasilianischen Pianisten Aleyson Scopel, der bereits mit Mozart-Interpretationen für Aufsehen sorgte (Grand Piano B01BFZN0HI, 2016).

Ein Gegengewicht stellen hier die zahlreichen geistlichen Chorwerke dar, die sich eng und traditionalistisch an den kirchlichen Gebrauch anschließen, etwa eine Markuspassion und ein Zyklus kleiner Begräbniskantaten, rituelle christliche Musik und weitere Kantatenkompositionen. Aus den zahlreichen kammermusikalischen Werken ragen die Sonate für Flöte und Klavier von 1986 und das zwei Jahre zuvor geschriebene Magische Buch von Xangô für Geige und Violoncello heraus, außerdem das frühere Streichquartett Tönendes Buch aus dem Jahr 1975. Was die Klaviermusik betrifft, hat sich nun mit Leidenschaft der Pianist Aleyson Scopel des Projekts Cartas Celestes angenommen …

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