Ziemlich genau zehn Jahre ist es nun her, dass sich Augusta Read Thomas entschloss, nur noch zu komponieren. Sicher kommt es selbst bei beweglichen Karrieren wie in den USA nicht häufig vor, dass eine prominente Hochschullehrerin ihre Professur aufgibt, um sich ganz der Kunst zu widmen. Thomas verließ also die Northwestern University in Evanston und arbeitete an Projekten wie dem Ballett Terpsichore’s Dream (2007) für Kammerorchester, Absolute Ocean für Sopran, Harfe und Orchester (2008), später an Flash für Chor und Orchester (2011). Auf das bisherige umfangreiche Gesamtwerk der renommierten Musikpädagogin zurückblickend lässt sich eine Tendenz zu großen Besetzungen, teils mit Solopart, feststellen, aber auch eine Neigung zum Ballett, zum Chor und zur Kammermusik für Violine in solistischer und Duett-Besetzung.

Da sie schon früh Kontakte zu großen Orchestern ebenso wie zu namhaften Dirigenten hatte, verselbstständigte und festigte sich diese Ausrichtung, seit sie Kompositionsaufträge erhielt. Schon 1996 dirigierte Pierre Boulez ihre Words of the Sea, Mstislav Rostropovich spielte mit dem Boston Symphony Orchestra das Cellokonzert Chanson unter der Leitung von Seiji Ozawa und ihre – von Rostropovich beauftragte und aufgeführte – Kammeroper Ligeia erhielt den bedeutenden International Orpheus Prize. Längere Zeit wirkte sie in Massachusetts, bevor sie in ihrer Eigenschaft als eine der Führungspersönlichkeiten des American Music Center in Tanglewood ebenso wie anlässlich des Green Lake Music Festivals in Wisconsin lehrte.

Kein Geheimnis ist Thomas‘ ästhetische Orientierung an Luciano Berio, dessen Werk sie eingehend studierte und daraus wichtige Impulse für ihr eigenes Komponieren bezog. Der Mailänder und Florentiner Pionier der elektronischen Musik in Italien saß in der Jury, die ihr Bühnenwerk Ligeia auszeichnete. Dessen Tendenz zum Generieren von Klängen mit Computer und Tonband teilte sie zwar nicht, setzte sich aber intensiv mit seinem Stil und seiner Kompositionsmethode auseinander.

Ein frühes Faible für Posaune und Geige als solistische Instrumente in der Kammermusik und im Orchester ist bei der hochkreativen Komponistin unverkennbar: So stand Esa-Pekka Salonen am Pult des Los Angeles Philharmonic Orchestra Pate für ihr Posaunenkonzert Canticle Weaving und ihr Violin-Solostück Pulsar, ein Auftragswerk der englischen Royal Philharmonic Society wurde 2003 von Ilya Gringolts für eine Übertragung von BBC3 in der Londoner Wigmore Hall gespielt.
Am 20. März 2016 wird das Parker Quartet Helix Spirals von Augusta Read Thomas am Musikzentrum der Universität von South Carolina aufführen, die Pianistin Linda Holzer ist am 12. April in Atlanta mit Love Twitters zu hören, am 18. April wird das Stück Karumi für Altblockflöte im Weill-Saal der New Yorker Carnegie Hall von Luisa Sello erklingen; doch handelt es sich dabei lediglich um die nächsten kammermusikalischen Spotlights aus einem außergewöhnlich dichten Konzertkalender mit einer breiten Auswahl von Thomas‘ Werken bis hinein ins nächste Jahr.
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