Wieder aufgerollt: Eine ungewöhnliche Komponistenkarriere

Mit besonderem Engagement nahm sich vor zwei Jahren Cecilia Bartoli zusammen mit Diego Fasolis der bedeutenden Arien Agostino Steffanis an. Von dem 1654 in Castelfranco bei Venedig geborenen Komponisten, Diplomaten und geistlichen Würdenträger ist vergleichsweise wenig auf modernen Tonträgern veröffentlicht worden, obwohl sein Wirken gerade im deutschsprachigen Raum, vor allem in Hannover, Düsseldorf, Heidelberg und München, nachhaltigen Einfluss auf Werke des frühen 18. Jahrhunderts hatte. Eine Reise führte den Münchner Hoforganisten im Jahr 1678 nach Paris, wo er Lullys Musik kennen und schätzen lernte. Nach seiner Priesterweihe erhielt er von Kurfürst Max II. Emanuel den Auftrag zu einer Oper, bevor ihn dieser in diplomatischen Diensten beschäftigte. Sein Bühnenwerk Enrico Leone (Heinrich der Löwe, 1689) stand – zur Eröffnung eines neuen Opernhauses – am Beginn seiner künstlerischen Karriere am Hof des Herzogs Ernst August. Nach aufreibender Missionsarbeit ließ er sich vorläufig in Padua nieder, kehrte aber 1725 nochmals nach Hannover zurück. Auf der endgültigen Rückreise in seine alte Heimat Italien  starb er 1728 nach einem Schlaganfall in Frankfurt am Main.

Beim Label Decca erschien vor 2 Jahren Cecilia Bartolis umfangreiche Arien-Sammlung aus Werken Agostino Steffanis (B00F2V036I).
Beim Label Decca erschien vor 2 Jahren Cecilia Bartolis umfangreiche Arien-Sammlung aus Werken Agostino Steffanis (B00F2V036I).

Die Tripelkarriere als Musiker sowie Komponist, Priester und Diplomat erscheint uns heute vielleicht suspekt, doch war Steffanis Fall nicht singulär. Er nutzte vielmehr seine Beziehungen zu den obersten politischen Etagen wie es zum Beispiel in Deutschland Graf Gotter tat und verlor dabei doch nicht seine persönlichen Anliegen aus den Augen. Erstaunlich bleibt – wenigstens aus der heutigen Perspektive – für einen Tonkünstler, der eigentlich in der sakralen Musik seine Hauptaufgabe sah, dass er genauso munter viele Opern zu antiken mythologischen und historischen Stoffen schrieb und damit zu seiner Zeit außerordentlich erfolgreich war. Daneben entstand Kammermusik wie seine Sonate da camera, also eine Reverenz an ein ebenso genuin weltliches Genre, für zwei Violinen, Viola und Basso continuo, die 1705 in Amsterdam gedruckt wurden. Steffanis erste bekannte Oper Marco Aurelio gelangte 1681 in München zur Uraufführung, zu zwei der 1685 folgenden wichtigen Bühnenwerke, Solone und Audacia e rispetto (Wagemut und Ehrerbietung) fehlt leider die Musik, Baccanali entstand 1695 und sein Arminio 1707 wärend der Zeit unter dem pfälzischen Kurfürsten Johann Wilhelm 1707 in Düsseldorf.

Der aus Lugano stammende Dirigent Diego Fasolis entdeckte in den letzten Jahren das Werk Agostino Steffanis für sich neu – nicht zuletzt wohl, weil ihn Orgelstudium und Choririgieren mit dem italienischen Komponisten verbanden. Aus dieser Faszination gingen 2013 bislang drei CD-Projekte mit seinem 1998 gegründeten Orchester I Barrochisti hervor: Danze e Ouvertures mit einer Mischung aus Arien und Instrumentalmusik, Mission (mit seinem markanten, nicht wenig ironischen Cover, das Cecilia Bartoli kahlköpfig zeigt) und der Doppel-CD-Box The Steffani Project, in dem die römische Koloratur-Mezzosopranistin gleichfalls die Hauptrolle übernahm.

Mit kalligraphischer Initiale: der Anfang von Steffanis Kammerduett  Pria ch'io faccia (London, British Library BL-Add. MS 14181.jpg; MGG 1. Aufl.)
Mit kalligraphischer Initiale: der Anfang von Steffanis Kammerduett Pria ch’io faccia (London, British Library BL-Add. MS 14181.jpg; MGG 1. Aufl.)

Von großem Interesse ist – neben den eher seltenen Einspielungen der Opern – außerdem die Aufnahme der Duetti da camera durch das Ensemble Arcadia mit Rossana Bertini, Claudio Cavina und Attilio Cremonesi, erschienen 2010 beim Label Glossa. Eine Dokumentation zu Steffanis Jahren in Hannover bietet Musik am Hannoverschen Hofe 1680 – 1710 unter Lajos Rovatkay mit der Capella Agostino Steffani aus dem Hause Mis/Emi (2008). Auf Vinyl liegt noch „antiquarisch“ die Aufnahme der Oper Heinrich der Löwe ebenfalls mit Rovatkay am Dirigentenpult vor. Die ernste religiöse Seite des Komponisten präsentierten 2013 Cecilia Bartoli und Danel Behle mit der Aufnahme des Stabat Mater – einer späten Komposition von 1728 – beim Label Decca.

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