Abglanz höfischer Eleganz und Stilbewusstheit

Manchmal bedarf es keiner speziellen Satzweise, um eine Violine wie eine Gesangsstimme im Vorhof des Belcanto klingen zu lassen – und ihr doch nicht geigengerechte Läufe und Melodieführung zu nehmen. So gelang es einem der großen und leider unterschätzten Meister wie Carlo Tessarini (1690 – ca. 1767) beides miteinander zu verbinden und gleichzeitig noch die große Kompositionsschule der sonata da chiesa wie der höfischen sonata da camera in ihren reichen und schillernden kontrapunktischen und virtuosen Farben aus dem 17. Jahrhundert in sein neues zu retten. Tessarini erweist sich aber nicht als Epigone des Hochbarock, sondern als ein auf seinem Instrument versierter Musiker, der auch neuere satztechnische Entwicklungen integrieren konnte, ohne seine Kunst als Melodiker der Instrumentalkantilene auch nur einen Moment an empfindsame und andere Moden zu „verraten“ …

Eine höchst abwechslungsreiche Hörreise durch die Violinkunst des Spätbarock bieten Tessarinis Sonaten in der neuen Einspielung von Valerio Losito und Federico 'Del Sordo (Brillant/Edel 2014, B00KFTW180)
Eine höchst abwechslungsreiche Hörreise durch die Violinkunst des Spätbarock bieten Tessarinis Sonaten in der neuen Einspielung von Valerio Losito und Federico ‚Del Sordo (Brillant/Edel 2014, B00KFTW180).

Bislang galt das Label, unter dem Valerio Losito und Federico del Sordo ihre Version ausgewählter Sonaten und des Allettamento da camera in G für Violine und Cembalo einspielten, eher als Zweitverwertungsableger von Edel Classics, hinsichtlich Aufnahme und Pressqualität als eher zweitrangig. Davon lässt sich nun nicht mehr sprechen, abgesehen von der ansprechenden Covergestaltung: Die sorgfältig ausgewählten Kammerstücke präsentieren sich dem Hörer mit einer großen räumlichen Präsenz und Ausgewogenheit ohne künstliche Halleffekte, Filter und Dämpfer.
Darüber hinaus verstehen es Valerio Losito, der sein Handwerk in Rom und Palermo erlernte und auf weltweiten Konzertreisen auch schon unter Rinaldo Alessandrini und René Clemencic auftrat, und Cembalist Federico Del Sordo, Lehrer am Conservatorio Santa Cecilia für Orgel und Gregorianik, besonders mit der Musik des Spätbarock, das für sie nur zufällig Rokokostile mitumfasst, handwerklich und artistisch angemessen umzugehen: Die Violine lässt die gesangliche Melodik nie abbrechen, setzt keine schroffen Akzente, sondern will diese Musik als Spielwerk quasi ziellos durchklingen lassen, um den Eindruck zu erwecken, als wäre sie ein Perpetuum mobile und hätte keinen eigentlichen Anfang und kein Ende. Die Füllstimmen des Tasteninstruments drängen sich nicht in weitschweifigen Arpeggi auf, sondern akzentuieren elegant und schnörkellos, gelegentlich aber mit mitreißender schwungvoller Agogik den Gesang der Geige.

Wer in die neue Aufnahme nur erst einmal hineinhören will, sollte sich das Adagio und Allegro aus der Sonata in F (op. 1, Nr. 2), um sich von den vielen Facetten des Melodikers Carlo Tessarini ein Bild zu machen. Sicher ist es so, dass der Komponist und Violinvirtuose aus Rimini, der an San Marco in Venedig wirkte, mit seinen Sammlungen eine Probe der Möglichkeiten liefern wollte, die sein Geigenhandbuch Gramatica di musica, in Rom im Jahr 1741 gedruckt, nur in Schulmanier vermitteln konnte. Allerdings handelt es sich auch hier um ein für die Zeit modernes und für das frühe 18. Jahrhundert heute sehr aufschlussreiches Kompendium, denn das Manual gibt einmal Auskunft über die übliche Kadenz- und Diminutionspraxis des Spätbarock, geht aber auch darüber hinaus. Wir wissen, dass Tessarini später in urbino wirkte, daneben in Rom, Paris und London. Seine Spur verliert sich nach einer letzten Nachricht, die ihn als temporäres Mitglied des niederländischen Arnheimer Collegium musicum im Jahr 1766 ausweist.

 

 

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