Ein Ballett, überliefert mit dem Libretto des französischen Komödiendichters Charles Simon Favart: Hervé Niquet zeigt, wie man ein solches Stück dennoch auf die Bühne bringt – und zwar in Form eines entsprechend spätbarock und prächtig-bunt inszenierten Sprech- und Singspiels mit Intermezzi des Orchesters, die die überlieferte Partitur abbilden. Genau genommen handelt es sich bei Don Quichotte et la duchesse also um eine komische Oper mit groß angelegten Ballettszenen. Die Renaissance des Stücks im Theater von Versailles im vergangenen Jahr suchte auch dem Umstand gerecht zu werden, dass die Uraufführung in die Karnevalszeit des Jahres 1743 fiel. Das von Favart und Boismortier gewählte Sujet passte denkbar günstig: Der Ausschnitt aus Cervantes‘ Roman zeigt, wie die Herzogin, im Libretto Altisidore, und ihr Mann den seltsamen Ritter hinters Licht führen wollen und so reichlich für ebenso skurrile wie bloßstellende Situationen sorgen …

Zusammen mit dem regieführenden Paar Corinne und Gilles Benizio, die an Favarts einstige Mitstreiter Abbé Voisenon und dessen Frau, die Schauspielerin Ronceray denken lassen, inszenierte Niquet als langjähriger Leiter des Orchesters Le concert spirituel und mit dem dazu gehörenden Chor sowie dem berückenden Tänzerensemble La feuille d’automne in einem großen Wurf die fast in Vergessenheit geratene Oper. Joseph Bodin de Boismortier (1689 – 1755) erweist sich einmal mehr als eines der Originalgenies der französischen spätabsolutistischen Musik, von dem selbst Rameau kopierte und der sich als einer der ganz wenigen ohne die Hilfe eines Mäzens behaupten konnte.

Bald nach der Präsentation des Don Quichotte stieg der Selfmademan zum Chef d’orchestre der Foire St. Laurent in Paris auf. Dennoch ist er den heutigen Hörern barocker Musik mit den erhaltenen Kompositionen mehr als subtiler Komponist von Flötensonaten im pastoralen Stil, Suiten und Konzerten mit Drehleiereinsatz ein Begriff. Die besondere Anmut, Grazie, Eleganz und Lieblichkeit dieser galanten Werke und ebenso seiner Beiträge zum Musiktheater sind wohl dafür verantwortlich, dass Hervé Niquet bekannte, Boismortiers Musik mache einfach „glücklich“.

Das Regiekonzept folgt einem erst später beliebt gewordenen exo- und metatheatralischen Ansatz: Orchesterleiter und Bühnenfiguren unterbrechen sich durch Dialoge und improvisierte Einsätze. Beinahe wie in einer frühen Probe fallen sie sich ins Wort, wobei aber der Abstand zwischen musikalischer Direktion und fiktiver Handlung stets gewahrt bleibt. Natürlich sind auch andere Grenzüberschreitungen an der Tagesordnung: Die Herzogin, in ihrer Anmut und ihrem Zorn auf den grobschlächtigen Gast stimmig verkörpert durch Chantal Santon Jeffery, tritt im Unterrock auf, ihr adliger Gemahl kehrt die Gemächer selbst mit dem Besen, der Dirigent schwingt den chevalesken Speer statt des Taktstocks und klappert mit Kastagnetten, Musiker illustrieren die narrenhafte Tiermaskerade bei Hof durch unsachgemäßen Gebrauch der Blasinstrumente.
Das Auftreten des spleenigen Ritters von der eisgrauen Gestalt aus dem düsteren Mittelalter verwirrt die Ordnung der höfischen Gesellschaft, die ihn aufs Glatteis zu führen gedachte. Einer der Tänze gerät völlig aus dem ungeraden in einen geraden Takt. Völlig entgleist das Spiel im Spiel, wenn als Intermezzo vor dem geschlossenen Vorhang zwischen den zwei Akten Corinne Benizio auf burleske Art Flamenco singt und tanzt und plötzlich mit Dirigent und Herzog La cucaracha anstimmt. Trotz und dank solcher Anachronismen sowie der überzeugenden figuralen Gestik des Balletts und der Sänger machen diesen Mitschnitt aus einer Live-Aufführung der Château de Versailles Spectacles zum ganz großen Amüsement auch und gerade jenseits monarchisch-höfischer Epochen.
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