Eine amerikanische Komponistin, die sich in verschiedensten Genres versuchte und in Europa tendenziell noch unbekannt ist, sollte aus der Reihe auch einmal zu einem ungeraden, nämlich 101. Geburtstag gewürdigt werden: Peggy Stuart Coolidge (1913 – 1981), die in Swampscott im Bundesstaat Massachusetts geboren wurde und nicht weit entfernt in Boston auch einen Großteil ihrer Schaffensjahre verbrachte, orientierte sich besonders an der genuin amerikanischen Folklore der Einwanderer, daneben auch an den Werken ihrer Kollegen Aaron Copland, Charles Ives und George Gershwin. Nach Klavierstunden in frühen Jahren studierte sie zusammen mit Leonard Bernstein bei Heinrich Gebhard, später am New England Conservatory in Boston bei Quincy Porter.

Ihr Ballett Cracked Ice war praktisch das erste Orchesterstück, das für den Eislauf, genauer für den Boston Skating Club geschrieben wurde und von dem Dirigenten Ferde Grofé als Partitur bearbeitet wurde, bevor es im New Yorker Madison Square Garden unter seiner Ägide zur Uraufführung kam. Später spielte es auch das legendäre Boston Pops Orchestra. Schon hier ist bei Peggy Stuarts durchgehender Orientierung am klassischen Satz eine Neigung zur Verwertung populärer Anlässe und zu Seitennischen des offiziellen Kulturbetriebs zu erkennen. Dementsprechend heiter, munter, bisweilen folkloristisch und doch von tiefgängiger Harmonik geprägt erreichen ihre Werke heute das Publikum. Für die Boston Pops entstanden in der Folge Night Froth, Smoke Drift, Twilight City und The Island.
Stuart blieb der Musik treu, obwohl sie sich während des Zweiten Weltkriegs in Boston nach anderen beruflichen Alternativen Ausschau halten musste: So war sie in der Organisation eines Unterkunftsbüros für Militärangehörige tätig, gab aber in den frühen Morgenstunden Klavierunterricht und dirigierte ein kleines, nur aus weiblichen Musikern bestehendes Ensemble, spielte für verwundete Soldaten und assistierte als Dirigentin der Women’s Symphony in Boston. In New York engagierte sie sich anschließend in der Musiktehrapie und traf während dieser Jahre einen alten Freund aus Boston, den Autor Joseph Coolidge, den sie bald heiratete und dessen Kindergeschichten sie mit Hintergrundmusik und Liedern vertonte. In den 1960er jahren hielt sie sich als Konzertpianistin häufig in Europa auf, insbesondere in Wien, Budapest und Moskau. Insbesondere in Russland erhielt sie – nicht zuletzt durch den Austausch mit Aram Khachaturian – als einzige Repräsentantin amerikanischer Musik eine Auszeichnung für ihren Konzertauftritt in der Sowjetunion.
Da Westfälische Symphonieorchester nahm sich insbesondere ihrer anspruchsvollen, elegisch gefärbten und gleichzeitig heiteren Harfenrhapsodie an, ebenso aber der programmatischen Komposition New England Autumn, die ihr Bewusstsein für Natur und Umwelt schon andeutet, das in einem späteren philosophisch begründeten Orchesterwerk Blue Planet (1973) auf der Basis eines Gedichts ihres Mannes seine generalistische Ausformung finden sollte. In dieser Zeit realisierte Stuart auch einen Liederzyklus über Werke amerikanischer Lyriker. Ihre Spirtituals in Sunshine and Shadow lassen sich als Tribut an die schwarzamerikanische Musik und die Träger ihrer Kultur verstehen, sind aber in ihrer Faktur kunstmusikalisch ausgerichtet. Diese und andere Beispiele für den hohen Grad der symphonischen Kunst Stuarts, die sich auch auf die Instrumentation erstrecken, kommen auf der Doppel-CD-Kompilation The Incredible Flutist – American Orchestral Works mit weiteren Stücken von Still, Kay, Mason und Piston in der Einspielung des Westfälischen Symphonieorchesters unter Siegfried Landau mit dem ungarisch-amerikanischen Solisten Aristid von Würtzler an der Harfe ausführlich zur Geltung (VoxBox Composers Series CDX 5157, 1996).
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