Von ihrem äußerst bewegten Leben abgesehen sollte die geborene Comtesse de Charnay namens Hélène de Nervode besonders deshalb nicht mehr in Vergessenheit geraten, weil sie ihre große Begabung für das Instrumentalspiel mit gesellschaftlichem Engagement zu verbinden wusste, und dies nicht nur in den Kreisen des Adels. War sie zunächst eine erfolgreiche konzertierende Cembalistin, wurde sie aufgrund der besonderen technischen Fertigkeiten und Ausdrucksstärke im Spiel so berühmt, dass sie im Jahr 1795, im Alter von 31 Jahren, als erste Frau eine Professur – de première classe – am Pariser Konservatorium erhielt.

Sie wusste von da an ihre ebenso überragenden pädagogischen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, war aber auch als geistreiche Gesellschaftsdame bekannt, weil sie natürlichen Humor und Charme besaß und bei Besuchern in ihrem Haus verbreiten konnte. So beschrieb ihr Wesen ein mit ihr befreundeter niederländischer Maler, Jan Evert Morel, und wies ebenso auf ihr elegantes Auftreten hin. Dabei war es keineswegs so, dass sie, obwohl Frau, bei ihren Zeitgenossen immer um Anerkennung kämpfen musste. Im Gegenteil, man sah sie zu Lebzeiten als ebenbürtig mit anderen tonangebenden Pianisten der klassisch-romantischen Epoche, etwa Muzio Clementi oder Friedrich Kalkbrenner.

Montgeroults Leben gleicht einem Abenteuer: Sie verlor ihren ersten Mann, einen Marquis, als dieser als Soldat der französischen Armee in Österreich eingesetzt worden war; zu dieser Zeit war sie Giovanni Battista Viotti, einem populären Geigenvirtuosen, freundschaftlich verbunden. In den Wirren der Revolution wurde sie zum Tod verurteilt, aber begnadigt, weil sie die Richter durch ihr berückendes Cembalospiel für sich einnehmen konnte. Sie entkam nach Berlin, Viotti, der ebenso in Ungnade gefallen war, nach London. Nach ihrer Rückkehr lehrte sie im Konservatorium zu Paris, wurde aber entlassen, als dem Institut die Schließung drohte. Vergleichbar Rahel Varnhagen, die einen Salon unterhielt, gab sie oft Empfänge in ihrem Haus und konnte sich als Klavierpädagogin weiterhin behaupten.
In den letzten Jahren wurden einige bemerkenswerte Aufnahmen mit ihren Werken veröffentlicht, wobei die Einspielung ihrer Études, publiziert 1822 als Cours complet pour l’enseignement du forte-piano, durch Clare Hammond insbesondere Aufmerksamkeit verdient, nicht nur, weil sie sie zu didaktischen Zwecken verwendete. Sie zeigt, dass die an der Wende zum 19. Jahrhundert immer mehr zur Kunstform gesteigerte Komposition von „Übungsstücken“ für Schüler und Studenten wegen der darin erprobten technischen Anforderungen im eigentlichen Sinne innovativ wirken konnte. Hören sich Montgeroults Sonaten eher im Sinn der frühen Wiener Klassik „konservativ“ an, so überraschen Wendungen in ungewöhnliche Tonarten in den didaktischen Beispielen.

Die britische Pianistin Clare Hammond trat bereits 2013 mit einer sehr stimmigen Interpretation von Klavierkompositionen Kapustins und Szymanowskis ins Licht der Öffentlichkeit, seither genießt sie zunehmend den Ruf einer einfühlsamen Virtuosin, die den Geist der Werke zu ergründen sucht. In hohem Maße gelungen ist dies bei der vorliegenden Interpretation aus dem heute erst allmählich Gehör findenden Repertoire Montgeroults.
Literatur u.a.:
Antje Olivier; Sevgi Braun: Komponistinnen aus 800 Jahren. Essen 1996. S. 287.