Für die Musikgeschichte ein sensationeller Fund: Eine Musikwissenschaftlerin an der Universität Southampton, Prof. Laurie Stras, entdeckte vor wenigen Monaten in Moskau das vierstimmig gesetzte primo libro di madrigali der in der Renaissance weithin bekannten Lautenspielerin und Sängerin Maddalena Casulana de Mezarii aus dem Jahr 1568, gleichzeitig das erste Werk der vermutlich um 1540 in Vicenza geborenen Musikerin und Komponistin, von dem wir überhaupt Kenntnis haben. Es gehörte früher zum Bestand einer Danziger Bibliothek. Wir wissen heute von insgesamt 66 Madrigalen aus ihrer Hand, was beachtlich ist und später vielleicht auch die Barocktonsetzerin Barbara Strozzi (1619 – nach 1664) dazu ermutigte, eine große Zahl von weltlichen Liebesliedern für sich selbst als Ausführende zu schreiben.


Dieses erste Madrigalbuch ist keiner Geringeren als Isabella de Medici gewidmet, die der Künstlerin möglicherweise finanziell und beruflich dessen Erstellung ermöglichte. Die gehobene Stellung der Instrumentalistin, Vokalistin und Komponistin kommt wohl darin zum Ausdruck, dass der Dichter Antonio Molino von ihr Musikunterricht erhielt und ihr dann seine Dilettevoli Madrigali zueignete. Auch der Dichter Giambattista Maganza (ca. 1513 – 1586) widmete ihr eine Canzona. Bemerkenswert ist, dass Casulana nicht nur selbst als Poetin aktiv war, sondern sich auch an Texten Petrarcas, Tassos und Tansillos bediente; dementsprechend ist die musikalische Gestaltung eng an diese angelehnt. Für ihre Zeit noch ungewöhnlich ist die stark chromatische Gestaltung der Stimmen und ein nicht zu übersehender Manierismus.
Nach 1570, dem Jahr, indem ihre zweite Madrigalsammlung im Druck erschien, muss Casulana irgendwann in die Familie Mezarti eingeheiratet haben, denn als „Signora Mezarti“ betitelte sie sich auf dem Frontispiz ihres dritten Madrigalbuchs von 1583, in dem eine zusätzliche fünfte Stimme ausgeführt erscheint. Die Forschung vermutet, dass die Komponistin bald nach 1583 verstarb.


Bald nach Laurie Stras‘ Entdeckung des ersten Bandes spielte die britische Formation Fieri Consort 2024 einige Nummern daraus ein, nebst Madrigalen von Barbara Strozzi, wodurch Stilverwandtschaften als auch Differenzen zwischen der Repräsentantin aus der Renaissance und derjenigen aus der Barockzeit zutage treten. Der Bayerische Rundfunk lancierte zum Anlass des Zufallsfundes der fünf verschollenen Altstimmen eine eigene Dokumentation. Nicht zu vergessen ist hinsichtlich von Casulanas Biographie, dass sie allem Wissen nach die erste Europäerin war, von der Musik überhaupt gedruckt wurde.
Literatur u.a.
Peter Schubert: Maddalena Casulana. „Per lei pos‘ in oblio“ from Cinta di fior (1570): Finding the „air“ in Maddalena Casulana’s madrigals. In: Analytical essays on music by women composers: secular & sacred music to 1900. Edited by Laurel Parsons and Brenda Ravenscroft. New York (NY) 2018. S. 47 – 73.