Mel Bonis‘ Werke für kleinere Besetzung
Wie zwei ausgewiesene Expertinnen für die Werke von Mel Bonis im vergangenen Jahr festgestellt haben, sind Leben und Kunst der aus einer kleinbürgerlichen Familie in Paris stammenden späteren Komponistin in sich von zahlreichen „inneren Widersprüchen“ gekennzeichnet gewesen.

Möglicherweise als Folge daraus, dass die Eltern der zukünftigen Pianistin gegen ihr Musikstudium am Conservatoire eingestellt waren, was in Verbindung mit einer Liaison mit einem Journalisten, dem sie keine Sympathie entgegenbrachten, zum vorzeitigen und unfreiwilligen Abbruch des Studiums führte, zweifelte sie zeitweise an ihrer Neigung zur Musik selbst. Mit einem lapidaren Kommentar verwarf sie ihre Drei Stücke für Violine und Klavier, die um 1910 entstanden. Sie selbst, schrieb sie, habe bereits als Kind die Musik als zwar freudebringend, aber auch lästig empfunden, liebte sie und dann auch wieder nicht. Sie zeichnen sich einerseits durch weitschweifige, stark chromatisch gebaute melodische Linien aus, sind gleichzeitig von Liedhaftigkeit getragen und suchen harmonisch neben tonal vielfältigen Durchgängen aber auch das Ohr des Hörers zu umgarnen.

Als tänzerisch beschwingt und munter lassen sich hingegen die drei Teile der späteren Suite für Violine und Piano (op. 114) von 1926 umschreiben. Sie sind an ganz konkrete imaginierte oder reale Feiern auf dem Land gebunden: Tag des Fests, Unter dem Buschwerk, Ländlicher Festzug.
Auch eher heiter und mit zeitgenössischen, sicherlich noch kolonialistischen Klischees über den Orient folgenden Einfällen gibt sich die Suite Orientale für Violine, Cello und Piano, op. 48 von 1900, in der Satzfolge Prélude, Danse d’Aimées und Ronde de Nuit.
Eine Neigung zu neueren Entwicklungen wie der durchaus revolutionären Schönberg-Schule verrät der langsame und auf der Doppel-CD Entre Soir et Matin enthaltene, weltweit hier erstmals eingespielte Satz Lent aus Bonis‘ Suite für Violine, Cello und Klavier op. 194. Die tonal und ihrem Melos nach komplexe Komposition klingt eher nach dezidiert expressionistisch-experimenteller Musik der 1920er bis 1940er Jahre.

Soir – Matin ist eine expressive Komposition aus dem Jahr 1907, die ganz von Impressionen belebt ist und neben anderen auch die melancholischen, tiefgründigen Seiten von Bonis‘ Kompositionsstil zeigt. Insbesondere erweisen die beiden Stücke den hohen melodischen Einfallsreichtum und das souveräne Spiel mit Klangfarben.
Die Musikerinnen Sandrine Cantoreggi, Sheila Arnold, der Cellist Gustav Rivinius und der Flötist Michael Faust versuchen in ihrer Aufnahme von „verstreuten“, gesammelten Ausschnitten aus Bonis‘ Kammermusik den meist drei- oder vierteiligen Kompositionen einen sowohl suchenden als auch sinnlichen Ausdruck zu verleihen, die langen Passagen werden ausgespielt, das Klavierspiel ist nachdrücklich und vital-expressiv ausgeführt.