Mademoiselle Duvals Bühne

Erstaufnahme mit Camille Delaforges Ensemble Il Caravaggio

<Les Génies des Beaux Arts> von einem Zeitgenossen der Opernkomponistin und Tänzerin Mlle. Duval, François Boucher (1703 -1770, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie de Troyes, 13.5.2019, F p.d.)

Wenn die Eckdaten stimmen, dann komponierte eine mutmaßlich auf den Namen Louise Duval getaufte Cembalistin in Versailles achtzehnjährig das heroische, vierteilige Opernballett Les Génies ou les caractères de l’Amour, zu deutsch Die Genien oder Die Erscheinungsweisen der Liebe. Gemessen am Alter der Novizin ist sowohl die zeitübliche Titulierung <Mademoiselle> stimmig als auch das außergewöhnliche Faktum, dass eine Musikerin und Tänzerin in der Umgebung des französischen Hofs ein so umfangreiches Bühnenwerk auf die Beine stellen konnte. 42 Jahre waren so vergangen, seit die erste Opernkomponistin der Geschichte überhaupt, Elisabeth Claude Jacquet de la Guerre, mit einer Oper, nämlich der Tragédie lyrique Cephale et Procris (1694) hervorgetreten war. Für die Rezeption dürfte es charakteristisch sein, dass nicht viel über Duval überliefert ist, außer ihrem Geburtsdatum 1718 und dem Todesdatum 1769 oder 1775 nämlich so gut wie nichts Biographisches, auch kein Bildnis.

Einer der zahlreichen Genien ist der Genius der Freiheit (Nathanael Burton, Louvre, IMG_20141107_133116, 7.11.2014)

Dass die Oper Les Génies überhaupt einigermaßen vollständig erhalten blieb, ist wohl ihrer Durchschlagskraft zur Zeit der Uraufführung, 1736 an der Pariser Oper, zu verdanken sein. Neben dieser ist nur ein weiteres Werk aus Duvals Hand, nämlich das Gesangsduett Du Dieu qui fait aimer überliefert. Laut Anthony James‘ Artikel im New Grove Dictionary wurde das Opernballett neunmal aufgeführt, und dies spricht für seine Popularität in den aristokratischen Kreisen, die es sich leisten konnten, zu partizipieren.

Der spätbarocke Stil der Oper erlaubt es, sie ungeachtet ihrer individuellen Faktur in etwa zwischen Lullys und Rameaus Kompositionsweise einzuordnen. In der dramaturgischen Anlage sowie ihren melodischen und harmonischen Raffinessen steht sie den Produktionen der angesagtesten männlichen Kollegen und Dirigenten von Versailles in nichts nach. Es lässt sich von einer rhetorisch eleganten und beweglichen Stimmführung gerade in den mehr rezitativischen Teilen und „Walking-Bass“-Effekten bei den chorischen Partien sprechen. Deren eigentliche rhythmische Prägnanz gelangt in der nun in der Edition Château de Versailles Spectacles vorliegenden Weltersteinspielung in mustergültiger Weise zum Ausdruck. Das Ensemble Il Caravaggio setzt sich aus fünfundzwanzig Instrumentalisten exklusive der vom Cembalo aus dirigierenden Camille Delaforge und zwanzig Sängern in den vier traditionellen Registern Dessus, Hautes-contres, Tailles und Basses zusammen, deren Parts von Chorleiterin Lucile de Trémiolles einstudiert wurden.

Mlle. Duvals Ballettoper ist dem Prinzen von Carignan gewidmet (Libr. 1736, Gallica Digital Library).
Die vielseitige darstellende Künstlerin Mlle. Duval im Jahr 1787 (Detailansicht der Quelle <Attribué à Jacques Antoine Marie Lemoine (1751-1824) Por… | Drouot.com>)

Worum geht es aber in dieser Ballettoper? Da es sich bei den Genien und prominent den auftretenden Nymphen um ein zunächst abstraktes Konzept der antiken Mythologie handelt, ähnlich den Musen des Helikon, verhandeln diese ihre Konzepte und Erscheinungsformen der Liebe untereinander in dialogischem Disput, der auch Auseinandersetzungen kennt und in dem es nicht zuletzt um die Ausbalancierung von Affekt und Verstand geht. Den Musen vergleichbar stehen im Vordergrund sehr konkrete Figuren mit unterschiedlichen Wesenszügen, die bei den ursprünglichen Aufführungen sicherlich mit einigem Aufwand kostümiert waren. Die Genien beziehen sich im Libretto, das acht Solisten, in der Aufnahme Marie Perbost, Florie Valiquette, Anna Reinhold und Guilhem Worms unter anderen, zugedacht ist, auf den Fixpunkt des Götterhimmels um Zeus, von dessen Gnade und Weisung Menschen, Musen, Grazien und Genien abhängen.

Von der bemerkenswerten und in sehr jungen Jahren auf der künstlerischen Höhe der Zeit stehenden „Louise“ Duval existiert ein broschenartiges Bild in Seitenansicht, das sie dem „<Banlieu de l’opéra>, dem Ort der Pariser Oper, zuweist, was darauf hindeuten könnte, das sie Mitglied der Oper im Sinne einer wohl dauerhaft dort angestellten Cembalistin, Tänzerin und Komponistin war. Die Möglichkeit, dass sie auch als Dirigentin tätig werden durfte, ist als eher unwahrscheinlich einzuschätzen.