Raritäten und eine Aktualisierung

Die CD mit den Klavierkonzerten von Lehrer und Schüler ist eine Neuerscheinung im Januar 2024 (Hyperion ASIN ‏B0CJ6PDVYQ).

Bis in die Sattelzeit, die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein war es üblich, dass Orchester vom Cembalo aus dirigiert wurden. Etwas ungewöhnlich scheint es daher, wenn heute ein seit beinahe vierzig Jahren etablierter Dirigent vom modernen Klavier aus dirigiert, allerdings keineswegs den Continuo-Part spielt, sondern die solistische Rolle innehat: So verhält es sich bei der neuesten Einspielung in Hyperions Reihe Das romantische Klavierkonzert mit dem einstigen ersten Preisträger des Londoner Royal College of Music. Im Musiksaal der Kongresshalle Nürnberg traf er sich mit dem städtischen Symphonieorchester zur Aufnahme aus dem „Raritätenschrank“ norwegischer und deutscher Musik der Beethoven-Ära.

Thomas Tellefsen (1823 – 1874) lernte zunächst bei seinem Vater das Orgel- und Klavierspiel und nahm in Trondheim dann Stunden bei Ole Andreas Lindeman. Vor Grieg ist er einer der interessantesten Vertreter des romantischen Klavierkonzerts in Norwegen (vor 1874, NO p.d.).

Die Rede ist von Howard Shelley, der – für einen Dirigenten ebenso bemerkenswert – bislang 75 Klavierkonzerte aufgenommen hat und beim britischen Label Hyperion Records in der Liste verdienstvoller, kreativer und produktiver Repertoireförderer ganz oben steht. In der 86. Edition der Reihe geht es um eine Meister-Schüler-Beziehung: Thomas Tellefsen studierte nämlich außer bei Charlotte Thygeson mit Friedrich Kalkbrenner (1785 – 1849) in Paris, dessen Grande Marche, Orage & Polonaise, op. 93 hier erklingt. Thomas Dyke Acland Tellefsen stammte aus Trondheim und wollte in den 1840er Jahren eigentlich bei Fredéric Chopin studieren, was ihm für seine ersten zwei Pariser Jahre verwehrt blieb. Sein 2. Klavierkonzert f-Moll, op. 15, das um 1855 entstand, erfährt mit Howard Shelley hier eine ebenso routinierte wie kenntnisreiche Interpretation, denn es gelingt diesem ein ums andere Mal, den sprudelnden Erfindungsreichtum des Norwegers und seine Verarbeitungstechnik pointiert zu demonstrieren. Möglicherweise kommt ihm angesichts seiner heutigen Präsenz in den Konzertkalendern die von Frédéric Chopin höchstpersönlich bei der ersten Begegnung präjudizierte „nordische Schwärmerei“ also sehr zugute …

Ebenso (ein)gängige wie ausgesuchte Ouvertüren Mozarts finden sich in dieser Überblickseinspielung von Michael Willens mit der Kölner Akademie (19.1.2024; BIS records, ASIN: B0CNN89M5Y)

1952 gründete Michael Alexander Willens aus Maryland die Kölner Akademie, ein Orchester, das mit seinem einzigartig umfangreichen Repertoire von der Barockzeit über Klassik und Romantik bis zu Jazz und Popmusik die Zuhörer anzieht und erst im gerade vergangenen Jahr 2023 eine hochsensible und brillante Aufnahme von Emilie Mayers bedeutendem Klavierkonzert und ihren Ouvertüren veröffentlicht hat. Hauptsächlich widmete sich Willens mit dem Orchester aber dem europäischen Repertoire und hier sowohl geistlicher Musik der frühen Neuzeit als auch weniger bekannten Komponisten der Romantik und über diese hinaus. Im neuen Jahr gibt es von ihm nun eine Sammlung von Opernouvertüren aus der Feder W.A. Mozarts zu hören, die beim Label als Hybrid SACD erscheint und die notorische Compact-Disc-Hörer sicher aufhorchen lassen wird. Die Kölner Akademie widmet sich dabei nicht nur den heute überwiegend aufgeführten Werken, sondern auch kleineren und älteren wie etwa Ascanio in Alba, La finta giardiniera und Der Schauspieldirektor.

Neu bei Brilliant Classics: lange ungehörte spätromantisch expressive Kammermusik von Dora Pejačević (Edel/Brilliant, ASIN:B0CPL7ZBVY)

Auf den 2. Februar 2024, das Erscheinungsdatum eines weiteren verdienstvollen Albums bei Brilliant Classics dürften Hörer der Musik von Dora Pejačević gespannt warten: Das Trio RoVerde hat das vielfältige Kammermusikprogramm der kroatisch-ungarischen Komponistin unter die Lupe genommen und die fünf Stücke für Violine und Klavier sowie das Klaviertrio C-Dur op. 29 und die Cellosonate e-Moll op. 35 einstudiert. Das Trio besteht aus den ausgewiesenen hochrangigen Künstlerinnen Ekaterina Livintseva, Lusiné Harutyunyan und Caroline Sypniewski, die neben ihrer erst kurzen gemeinsamen Präsenz im europäischen Konzertleben bereits zwei CDs mit Kammermusik von Rachmaninoff und Beethoven produziert haben.