Haldenblumen aus Venedig?

Wenig bekanntes Repertoire – von zwei nicht allzu bekannten Künstlern.

Bühnenbild von 1665 zu Cestis ‚La Dori‘, vermutlich aus Venedig. In: Nathaniel Burt: Opera in Arcadia. In: The Musical Quarterly, Vol. 41, No. 2, Plate 4.

Die Uraufführung von Pietro Antonio Cestis Oper La Dori am 19. Februar 1657 zog eine Erfolgsspur durch die Theater ganz Europas nach sich. Die Vertonung des Librettos von Giovanni Filippo Apolloni gelangte zuerst nach Venedig und Ferrara, kaum zehn Jahre nach ihrer Entstehung nach Nürnberg, wurde in Wien, dann in München 1677 gespielt und herumgereicht an Theaterhäuser in Heidelberg, Lübeck und Lüneburg. Abgesehen von der Innsbrucker und den italienischen Inszenierungen wurde sie in diversen deutschsprachigen Fassungen aufgeführt.

Frontispiz des Librettos von G. F. Apolloni zu Antonio Cestis ‚La Dori‘, uraufgeführt 1657 (1667, It. p.d.)

Ihre Handlung ist komplex und nimmt ihren Ausgang bei einer Vetterngeschichte: Ormus, Cousin des persischen Königs Satrape möchte seinen Sohn an dessen ältere Tochter Dori verheiraten, doch wird diese, als sie aufgewachsen ist, von Piraten entführt. Ormus und Satrape fallen im Krieg gegen Griechenland, Oronte kommt an den Hof des ägyptischen Königs Tolomeo, wo dieser einen Friedensvertrag für Persien mit den Griechen aushandelt. Vom neuen König Artaserse wird Oronte zurück an den Hof berufen, um Arsinoe, Doris Schwester zu heiraten. Dori entkommt dem Zorn Tolomeos in Männergewändern. Tolomeo sucht Oronte und Dori und verkleidet sich als Frau unter dem Namen Celinda. Im Gefolge Artaserses befinden sich Tolomeo und Dori unter falscher Geschlechtsidentität und Namen. Am Ende lösen sich die Verwirrungen auf, die durch den Heiratsbefehl von Artaserse an Arsinoe und Oronte entstanden waren auf, Dori vermählt sich mit Oronte und Tolomeo mit Arsinoe. Das Libretto ist damit ein Vorgänger der zahlreichen Identitätswechsel in Theater und Oper des kommenden 18. Jahrhunderts.

Wie populär Cesti schließlich mit seiner Oper ‚Il pomo d’oro‘ wurde, zeigt die grandiose Inszenierung der Oper in Wien. (Frans Geffels 1668, Österreichische Nationalbibliothek)

Die Entwicklung von Cestis Stil hin zur späteren Oper La Dori ist anhand stilistischer Unterschiede auch im Vergleich mit anderen und älteren Opernkomponisten leicht nachzuvollziehen. Die ariosen Abschnitte erhalten nicht zuletzt wegen der Dominanz der Melodie über die Handlung hier mehr Gewicht gegenüber den Rezitativen und anders als bei Monteverdi sind die Arien nicht kontrapunktisch durchgeformt, sondern durch eine knappe Imitation zu Beginn mit nachfolgenden Melismen in Terz- und Sextparallelen charakterisiert. Es liegt eine beachtenswerte Video-Liveaufnahme der Oper mit der Accademia Bizantina und dem Dirigenten Ottavio Dantone vor, der sich auf dem Innsbrucker Festival für Frühe Musik 2019 damit erstmals einer Oper von Antonio Cesti (1623 – 1669) gewidmet hat. Die ebenso auf historische Aufführungspraxis und Kostümierung wie die Illumination der Akteure setzende Gesamtregie hatte Stefano Vizioli inne.

Zuerst bedeutende virtuose Konzertgeigerin, dann Opernsängerin: die ausschließlich weltliche Werke komponierende Musikerin Laura Lombardini Sirmen (16.11.2014, R p.d.)

Mehr noch im Italien und Frankreich der Barockzeit als zu Laura Lombardini Sirmens Schaffenszeit zwischen Mozart und Beethoven zogen Aufführungen von Werken komponierender Frauen größere Kreise, während sie im Europa der klassischen und romantischen Periode eher marginalisiert wurden und selten ins Rampenlicht traten, was selbst für Namen wie Emilie Mayer. Louisa Farrenc und Fanny Hensel gilt. Maddalena Laura Lombardini Sirmen (1745 – 1818) zeigte als Chorschülerin in Venedigs Ospedale dei Mendicanti früh Talent als Violinistin und konnte ihrer Zusammenarbeit und Heirat mit dem Geiger Lodovico Sirmen wegen tatsächlich den Weg eine Musikerinnenkarriere mit zahlreichen Konzertreisen durch Europa verwirklichen. Nicht zuletzt sei erwähnt, dass die produktive Komponistin mehrere Violinkonzerte schrieb. Nach der Trennung von ihrem Mann wandte sie sich überraschend der Laufbahn einer Opernsängerin zu. Als solche feierte sie große Erfolge, während ihr an Tartini geschulter Violinstil als veraltet galt.

Der venezianische Canal Grande um 1760 (Francesco Guardi, Acc. no. 1951-21, Institute of Art Chicago, CC-Liz.)

In Italien gab es in der Sattelzeit vor 1800 keine ausgeprägte Streichquartettkultur, zu Zentren eines intimen kammermusikalischen Konzertierens wurden eher Wien mit Haydns bedeutenden Zyklen, Spanien durch Boccherinis Wirken in Madrid. Lombardini Sirmens Streichquartette, die noch keine Viersätzigkeit aufweisen, wurden daher wohl in Paris gedruckt, da in Italien die Voraussetzungen nicht gegeben waren. Interessant ist, dass in diesen wohl frühesten Streichquartettversuchen überhaupt eher an Fortspinnung angeknüpft wird und an episodenhafte empfindsame Melodik der Vorklassik als dass hier eine motivisch-thematische Durcharbeitung – wie später bei Haydn und Beethoven – unternommen wurde.

ISMN: 979050182012, Furore Verlag 2007

Alleine die melodischen Einfälle der Komponistin wirken in den Streichquartetten Nr. 2 B-Dur und Nr. 3 g-Moll unverbraucht, erfrischend originell und ungestüm. Die Anwendung des lombardischen Rhythmus mit seiner umgekehrten Punktierung ist ebenso wie das Changieren zwischen Dur und Moll bei gleichem Basiston für die Zeit der Entstehung dieser Streichquartette ungewöhnlich. Den vollkommen richtigen Ton für diese vorromantische Kammermusik zwischen alter Satztechnik, Empfindsamkeit und Frühklassik trifft das Erato Quartett in seiner Aufnahme aus dem Jahr 1998.

Informationen zu Lombardini Sirmens Biographie und Quartetten: Christin Heitmann in: Booklet CPO 999 697-2, 1999, S. 9-11.


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