Schlaglichter im August

Ein gefundener Schatz und mit Verspätung zu Ehren kommende Musik:

„Missing link“ der portugiesischen Musikgeschichte zwischen Spätbarock und Frühklassik: Concerti grossi von António Pereira da Costa (Ramée 2023, ASIN: ‎B0C3RRTV57)

Jeder, der einmal auf der Ferieninsel Madeira war, kennt deren Hauptstadt Funchal, die neben einer gemütlichen bis gediegenen Ausgehkultur auch namhafte Persönlichkeiten der Kulturgeschichte beherbergte. Ab 1740 war dort der womöglich vom Festland, vielleicht Lissabon gebürtige Musiker und Priester António Pereira da Costa (ca. 1697 – 1770) Kapellmeister. In London erschien im Jahr darauf eine dem Major João de Vasconcelos Bettencourt gewidmete Sammlung von zwölf Concerti grossi, auf deren Titelkupfer der Urheber im Gewand eines Säkularpriesters zu sehen ist, was einem von kirchlichem Dienst weitgehend entbundenen Dirigenten und professionellem Musiker entsprach. Seine 1750 in einer Lissaboner Zeitung erwähnten und für einen punktuellen kirchlichen Zweck komponierten Kantaten und Sonaten konnten bislang nicht ermittelt werden.

Viel ist über das Leben und die übrigen Werke von António Pereira da Costa nicht bekannt, dennoch kann sein individueller Stil in Portugal als Bindeglied zwischen den zur Homophonie neigenden spätbarocken Mustern und der Frühklassik gelten. (Titelbild der Londoner Sammlung von Concerti grossi, 1741, P p.d.)

Im Oktober 2021 nahm das Ensemble Bonne Corde unter der Leitung der Cellistin Diana Vinagre ausgesuchte Concerti aus der Sammlung auf, was geradezu einer Enthüllung vorklassischer Musik aus dem damaligen Portugal gleichkommt. Heute kennt man aus dem Portugal des frühen 18. Jahrhunderts vor allem das solistische Cembalowerk und ein paar Cembalokonzerte aus der Feder von Carlos Seixas, die allerdings ganz dem spätbarocken Stil zur Zeit des auf der iberischen Halbinsel wirkenden Domenico Scarlatti verpflichtet sind. Da ansonsten nicht viel portugiesische Musik aus der Epoche vor und um 1740 vorliegt, was wohl auch mit den Verlusten durch das verheerende Lissaboner Erdbeben von 1755 zu erklären ist, handelt es sich um eine absolute Entdeckung. Pereira lehnt sich allerdings stilistisch nicht an die „Moderne“, sondern an Arcangelo Corellis Modus der zum Concerto grosso hin erweiterten Triosonate an, bleibt im Stil aber konservativer als die Komponisten des stile antico.

Es könnte dem Anknüpfen an die im engeren Sinn verstandene Sonata da chiesa, also der so genannten Kirchensonate, zu verdanken gewesen sein, dass Pereira da Costa Imitation und kontrapunktische Technik selten anwendet und zudem die üblich gewordene fortschreitende harmonische Entwicklung nicht kennt, dafür aber einfallsreich in der Melodieführung der sich abwechselnden Passagen vorgeht und immer wieder originelle Stimmführung aufblitzen lässt, die ihre exotische Wirkung auf den Hörer nicht verfehlen.

Louise Farrenc war nach dem Erfolg etwa ihres KLaviertrios op. 44 in ihrem Heimatland Frankreich in aller Munde, doch wurden etliche ihrer Kompisitionen nicht gedruckt. (Luigi Rubio, 1835, F, US p.d.)

An den Stil der durch Haydn etablierten Wiener Klassik knüpft die aus Paris stammende Pianistin, Musikwissenschaftlerin und Komponistin Louise Farrenc (1804 – 1875) gute hundert Jahre später mit einer Reihe von Kammermusikwerken an, dem wieder zu Popularität gelangenden Klaviertrio op. 33, das im Windschatten der 1. Symphonie von 1841 entstand, dem (wie ihre Symphonien übrigens!) nicht gedruckten Sextett op. 40 für Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott von 1852, dem ersten in dieser Besetzung überhaupt (!) und einem Klaviertrio op. 44 Es-Dur, das um 1855 komponiert wurde und in seinem sprudelnden Ideenreichtum ebenso wie in den Modulationen, technischen Raffinessen und der Verwendung von liedbasierter Melodik die früheren Werke hinter sich lässt.

Besondere musikalische Ironie ist in Louise Farrencs Opus 44, wo melodisch einfache, launige und harmonisch auf ungetrübte Dur-Durchführungen bei Haydn rückverweisende Zitate mit ins Spiel kommen – ähnlich wie in der 1. Symphonie Gustav Mahlers -, auf Schritt und Tritt hör- und spürbar, insbesondere im Finale, das die Kräfte aus den vorhergehenden drei Sätzen bündelt. Das achtköpfige Linos Ensemble, zu dem die Pianistin Konstanze Eickhorst zählt, nahm sich 2006 bei Radio Bremen dieses noch fast völlig unbekannten Repertoires mit ebenso viel musikantischem Eifer wie stilistischer Treffsicherheit „zwischen den Stühlen“ von Klassik und Romantik an.

Die gesammelten Erinnerungen Kreneks an bewegte Jahre zwischen den Kriegen sind unter anderem ein überaus informativer Beitrag zur Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. (Edition Braumüller, Wien, 2012, ISBN 13:  978-399200048-7)
1927 wurde die Krenek-Oper Jonny spielt auf erstmals in Prag, in der Heimat seiner Vorfahren, aufgeführt. (Vogelbeeren, 25.2.2019, CC-Liz.)

Noch einmal hundert Jahre später schuf Ernst Krenek (1900 – 1991), Sohn tschechischer Eltern, in Wien, Zürich, New York State, Berlin und Palm Springs (Kalifornien) ein umfangreiches musikalisches Werk, in dem nahezu alle Gattungen der wechselhaften Epoche zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und den 1970er Jahren vertreten waren. Vom expressionistischen, aber noch überwiegend tonal basierten Klangbild der „Jazz-„Oper Jonny spielt auf (UA Leipzig 1927) sollte er sich bald verabschieden. Seine persönlichen Erinnerungen bündelte der auch als Literat und Dokumentarschrifsteller hochproduktive Komponist in einer von 1942 bis 1952 entstandenen Autobiographie seiner Kunst, die vor kurzem unter dem Titel Im Atem der Zeit (2012) beim österreichischen Verlag Braumüller erschienen ist.

In der für Kunst und Kultur bekannten niederösterreichischen Stadt Krems an der Donau unterhält eine Privatstiftung in den Räumen der Universität für Weiterbildung den Nachlass Ernst Kreneks, in der Besuchern Informationen zum Opus, zu Veranstaltungen und vor allem den umfangreichen bisher noch nicht edierten archivierten Schriften des Komponisten, der eine besondere Stellung zwischen Neoklassizismus und radikaler Moderne einnimmt, wozu etwa auch der Briefwechsel mit Thomas Mann gehört.


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