Mit zwei zentralen Fakten lässt sich diese neue Überraschung von Lydia Schmidl und Jorge Paz Verastegui nach Hamburg Dialogues (2017) und Inspiración Bach (2019) als etwas Besonderes unter allen anderen Produktionen Neuer Musik hervorheben, die der kubanische Komponist, Dirigent, Gitarrist und Pädagoge Leo Brouwer, dem eine breite Hommage mit einer Auswahl aus seinem gegenwärtigen Schaffen zwischen 2018 und 2021 und einem früheren Stück gilt, in einem Grußwort an die Ausführenden und potenzielle Zuhörer selbst erklärt.

Erstens: Die Zusammenstellung der Stücke und ihre Interpretation ist abseits von den Zwängen des Medienkonsums erfolgt. Dem Zuhörer verlangen diese Miniaturwerke nichts anderes ab als eine unaufgeregte Haltung. Sie entziehen sich dem geschäftigen Treiben des Alltags, sind bestes Argument dafür, wie Musik Zeit strukturiert. Diese Musik ist ätherisch, kein Gegenstand des Verbrauchs; dafür ist sie zu vielfältig und vielsagend angelegt, sie trägt keine Marke und hat als Ton gewordene Idee keine Verpackung zum Aufreißen und Wegwerfen. Zum zweiten stellt die Aufnahme eine außergewöhnliche Ehrung dar, weil die Stücke zu Lebzeiten Brouwers erschienen sind und – mit Ausnahme von Tarantos (1974) – zum ersten Mal auf Tonträger festgehalten wurden.
Weniger überraschend ist an dieser CD vielleicht einzig das Aufgreifen der aus der Renaissancezeit erstmals überlieferten, uralten Folia-Melodie, die Brouwer in einem Variationenzyklus behandelt hat. Die irrwitzige und rasend schnelle letzte Variation dekonstruiert in tonaler Hinsicht atonal-polytonal die vorhergegangenen, vom Hörer nachvollziehbaren Interpretamente komplett: Der Name des Tanzes bedeutet ja Wahnsinn und Raserei und hier erklingt dieses Merkmal in Reinform. Als Schlussstein findet sich auf dem Album ein Tríptico concertante (2021), das Brouwers Gedanken von Vielstimmigkeit in besonderer Weise zum Ausdruck bringt.

Was verbindet die vorhergegangen Aufnahmen des deutsch-peruanischen Duos mit der neuen? Dass es um Vielfarbigkeit geht jedenfalls. Denn auch im Falle der Hamburger Dialoge kommen ständig wechselnde individuelle Stimmen aus aller Welt zum Zuge: vor allem jüngere Komponisten der Postmoderne des 21. Jahrhunderts aus dem spanischsprachigen Raum, aus Südamerika, Finnland, Deutschland und China. Entgrenzung wäre hierfür ein geeignetes Stichwort, aber auch Sammlung, berücksichtigt man das zwei Jahre später erschienene Album mit Bach-Referenzen, in denen wiederum Stimmen aus vieler Herren Länder mehr oder weniger ziellos aufeinander treffen, Strukturen aus Bachs Werk nachvollziehen, zitieren und parodieren, darunter allseits bekannte Namen wie Rameau und Schostakowitsch.

So war es vielleicht auch kein Zufall, dass sich das Lux Nova Duo in den letzten beiden Jahren ganz auf die Musik Leo Brouwers konzentrierte, dem es immer um eine universelle Musiksprache ging, die sich vielfältiger harmonikalischer, melodischer und instrumententechnischer Elemente bedient, dabei aber immer charakteristisch bleibt. Schon länger zuvor spielten Lydia Schmidl und Jorge Paz Verastegui seine Kompositionen immer wieder in Konzerten und arbeiteten sich mit seinem Repertoire voran. So ist die Aufnahme Meeting Leo Brouwer als Bündelung vorhergehender Aktivitäten aufzufassen.

Andererseits war Brouwer selbst während der letzten Jahrzehnte immer gleichermaßen Entwickler neuer Musik für die Gitarre und Pädagoge für sein Instrument. Die Kombination des polyphoniefähigen Zupfinstruments mit dem ebenso vielstimmigen, aber klangfarblich völlig anderen Akkordeon stieß ganz auf die Zustimmung des bekanntesten aller kubanischen Tonschöpfer, da sie zusammen so die breite Palette seiner Vorstellungen von Musik als Weltsprache widerspiegeln.
Das Album wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von:
Büro für Künstler Hasko Witte