Wer geglaubt hat, dass sich der Magen des Publikums ausschließlich von Beethovens Kost ernährt, sieht sich beim Blick in den Neuerscheinungskalender getäuscht. Offensichtlich widmen sich die weltweit aufgesplitteten Klassiklabels nur etwa zu zwanzig Prozent dem Geburtstagskind, seinen Sonnen-, Schatten- und unbekannten Seiten. Ansonsten wird je nach Spezialgebiet munter musiziert und eingespielt. Als innovativer Vorreiter für dezidiert zeitgenössische Musik des Jahres 2020 ohne Rücksicht auf Stilgrenzen empfiehlt sich weiterhin an erster Stelle ECM, das eher selten in die Musikgeschichte ausreißt, wie aber demnächst an einer Aufnahme von Brahms‘ Klarinettensonaten mit Jörg Widmann und András Schiff zu hören sein wird.

Das rein aus weiblichen Mitgliedern polnischer und italienischer Herkunft bestehende fünfköpfige Ensemble Giardino Di Delizie präsentiert noch in diesem Monat frühe Sinfonien des künstlerisch umtriebigen römischen Meisterlautenisten, Gitarristen und Kirchenmusikers Lelio Colista (1629 – 1680), der nebenbei auch noch Tänzer am Palazzo Barberini war und zu dessen Kommilitonen und Schülern unter anderem Gaspar Sanz zählte. Colistas Ausdrucksformen gelten als ebenso farbig in der Melodieführung wie expressiv; bislang ist aber nur ein Bruchteil seiner Musik für den Tonträger entdeckt. Nicht zuletzt gilt Colista geradezu als Erfinder der sinfonia da chiesa, besetzt mit zwei Violinen und Basso continuo.

Emilie Mayer (1812 – 1883) steht für viele immer noch im Schatten ihrer heute bekannteren Zeitgenossinnen Clara Wieck und Fanny Hensel – dabei war sie zu Lebzeiten gefeiert und als „weiblicher Beethoven“ geführt. Unter anderem ist es dem Label cpo zu verdanken, das auch bereits etliche Aufnahmen der Werke von Dora Pejacevic edierte, die Mecklenburgerin, die nicht weniger als 15 Konzertouvertüren, 8 Symphonien und 12 Streichquartette komponierte, mit einer weiteren CD zu würdigen. Die Philharmonie des Norddeutschen Rundfunks nahm sich im Februar 2019 Emilie Mayers‘ Symphonien 1 und 2 unter der Leitung des jungen Dirigenten Leo McFall an, nachdem cpo bereits zwei Tonträger mit Kammermusik dieser bedeutenden und erst langsam wieder in das moderne Konzertrepertoire zurückfindenden Komponistin der Frühromantik, die in Strelitz, Stettin und lange Zeit in Berlin wirkte, veröffentlicht hat.

Trompeter Wim van Hasselt und Perkussionist Koen Plaetinck, beide herausragende belgische Musiker, kennen sich von Studienzeiten an. Die beiden in den letzten Jahren sehr erfolgreichen Solisten haben sich nun zu einem Duo ungewöhnlicher Konstellation zusammengetan, um einen ebenso unkonventionellen Querschnitt von Seitenwerken der Musikhistorie und -gegenwart zwischen Ravel, Stockhausen und danach vorzulegen. Neben Arvo Pärt kommen hier auch die derzeit eher geheimtippverdächtigen Komponisten Daniel Wohl, Bart Quartier und Florian Magnus Maier zu Ehren.