Bizet im Hintergrund?

Die Ähnlichkeiten sind nicht zu überhören: Vergleicht man Arthur de Greefs Humoresque für Orchester mit Georges Bizets deutlich älterer 1. Arlésienne-Suite, so fällt neben der melodischen Gestaltung die metrisch verwandte, spondeisch getragene Deklamation des Themas auf, auch wenn im ersten Fall ein heiterer Zug, im zweiten ein konkret vom Militärmarsch inspirierter Ton vorherrscht. Eine der frühen Einspielungen eines Shooting Stars unter den Dirigenten, Yannick Nézet-Séguin, vereint in ihrem Charakter sehr unterschiedliche Orchesterwerke des aus Leuven stammenden belgischen Liszt-Schülers Arthur de Greef.

Der Treppenaufgang in Brüssels Tassel-Haus, gestaltet von Victor Horta, ziert den 5. Beitrag zur Reihe Flemish Connection, eine Auswahl aus Arthur de Greefs Orchesterwerken (B01K8LAJLK, 2005, Klara).

Neben der zweiten Version der Humoresque aus dem Jahr 1928 Cinq chants d’amour mit Sopransolostimme auf Liebesgedichte des Kritikers und Dichters Charles Fuster erklingt hier das zweite, 1930 in Lüttich uraufgeführte 2. Klavierkonzert B-Dur, das trotz seiner spätromantischen und melodisch vollkommenen Anlage vorerst auf wenig Interesse gestoßen war. Charlotte Riedijks angenehm timbrierte Stimme wird überwiegend in der Mezzosopranlage gefordert; ihr eignet ein den Inhalten der Gedichte geschmeidig angepasster Klang, wobei in Devant le ciel und Ma vie est dans tes mains ein hohes Gleichmaß des Ausdrucks angestrebt wird, während Cloches und Notre amour sehnsüchtig-klagend und melancholisch – eigentlich ganz im Sinne der poetischen Stimmungen Verlaines und Baudelaires – ausgeführt sind.

Yannick Nézet-Séguin spielte das zweite Klavierkonzert Arthur de Greefs 2004 ein (hier am Pult des Philharmonischen Orchesters Rotterdam, 13.8.2011, Quincena Musical, Flickr, CC-Liz.).

Zur Zeit der Entstehung des 2. Klavierkonzerts, das hier von dem Portugiesen Artur Pizarro als Solisten bestritten wird, wirkte Arthur de Greef (1862 – 1940) bereits mehr als vierzig Jahre als Klavierprofessor am Brüsseler Konservatorium. Angesichts der Expertise als Pianist und den daraus resultierenden europaweiten Virtuosenreisen fällt auf, dass er nach seiner Fantaisie sur des vieilles chansons flamandes pour piano et orchestre von 1892 erst mit Verspätung, 1914, sein 1. Klavierkonzert geschrieben hatte. Er widmete es Camille Saint-Saëns, dessen zweites Opus für das Instrument er besonders schätzte, stieß damit aber zunächst auf wenig Resonanz, obwohl dieser ihm damit großen Erfolg voraussagte.

Widmung an Edvard Grieg: Porträt Arthur de Greefs aus dem Jahr 1898 (Bergen Public Library Norway, Flickr’s The Commons Lic.)

Der Grund für die weiter auseinanderliegenden Entstehungsdaten etlicher seiner Werke ist wohl in der Inanspruchnahme durch die Tourneen als Pianist und den fortlaufenden Unterricht zu suchen. Nachhaltiger noch als mit Liszt und Saint-Saëns verband de Greef aber die Freundschaft mit Edvard Grieg, den er auf einer Norwegen-Tournee kennengelernt hatte.

Artur Pizarro nimmt in der vorliegenden Aufnahme seinen Part weniger mit dynamischer Spannbreite als mit nobler Finesse, die dem Melodienreichtum gerecht wird, aber auch zum genauen Zuhören zwingt, während der Frankokanadier Yannick Nézet-Séguin, hierzulande bekannt durch seinen Bruckner-Zyklus, mit dem brillanten Flämischen Rundfunk-Sinfonieorchester die leisen wie sehr lauten Passagen entsprechend auskostet.