Schwestern im Geist

An einer von Puccini und Beethoven geprägten Klassik-Öffentlichkeit dürfte selbst in Mitteleuropa der Name von Fernande Decruck (1896 – 1954) eher vorbeigegangen sein – was allerdings bedeutungslos ist. Denn die in Paris nach ihrem Orgel- und Kompositionsstudium prämierte Pianistin und Hochschuldozentin am Konservatorium von Toulouse fand bald Beachtung auch in den Kreisen der namhafteren kreativen Kolleg(inn)en. Dass die hochbegabte Musikerin sich nach Jahren in den USA von ihrem Mann trennte, ändert nichts an der Tatsache, dass eine ihrer wichtigen Kompositionen, die Sonate in Cis von 1943, auf ihren Mann Maurice Decruck, der im Orchester als Klarinettist und Saxophonist spielte, maßgeschneidert war. Sie schrieb immer wieder für ihn und sein Instrument.

Für den warm vibrierenden Klang des Alt-Saxophons (hier ein Exemplar aus der Werkstatt Selmer) schrieb William Albright 1984 seine teilweise dem Andenken von George Cacioppo gewidmete Sonate mit Klavier (Jmm1713, 24.3.2007, p.d.).
Für den warm vibrierenden Klang des Alt-Saxophons (hier ein Exemplar aus der Werkstatt Selmer) schrieb William Albright 1984 seine teilweise dem Andenken von George Cacioppo gewidmete Sonate mit Klavier (Jmm1713, 24.3.2007, p.d.).

Mit besonderer Leichtigkeit und Eleganz nehmen die 1990 auf der Krim geborene Saxophonistin Asya Fateyeva und ihre aus Kasachstan stammende Partnerin am Klavier, Valeriya Myrosh, die gelegentlich verspielten, aber auch romantisch-elegischen fünf Sätze der Cis-Dur-Sonate. Dabei realisiert gerade die Saxophonstimme völlig unterschiedliche Klangcharaktere, über die Fagottfärbung im Bassregister über einen flöten- und streicherartigen Ton bis hin zum näselnden Klarinettenklang in den mittleren bis hohen Lagen. Der Klavierpart sekundiert oft in impressionistischen Farben, seltener auch perlend oder in schroff herausgemeißeltem Portato, doch jedenfalls anschmiegsam und jeweils passend zum sehr veränderlichen Timbre des Saxophons.

Fernande Decruck war nicht nur eine Ausnahmepianistin, sondern komponierte auch im modern(st)en Stil ihrer Zeit und unterrichtete an einem französischen Konservatorium Harmonielehre. Asya Fateyeva spielte 2014 in Berlin-Dahlem ihre unter Fachleuten beliebte Sonate in Cis ein (Fplanas24, Foto von 1928, 24.2.2016).
Fernande Decruck war nicht nur eine Ausnahmepianistin, sondern komponierte auch im modern(st)en Stil ihrer Zeit und unterrichtete an einem französischen Konservatorium Harmonielehre. Asya Fateyeva spielte 2014 in Berlin-Dahlem ihre unter Fachleuten und Saxophonkennern beliebte Sonate in Cis ein (Fplanas24, Foto von 1928, 24.2.2016).

Mit fühlbarem Bedauern wies Asya Fateyeva in einem Interview mit Dagmar Penzlin auf den Umstand hin, dass der Amerikaner William Albright (1944 – 1998) die Aufführung seiner Sonate von 1984 für Saxophon und Klavier, die mittlerweile trotz ihrer höchst eigenwilligen individualistischen Sätze – inklusive Jazz- und Bebop-Elementen – ebenso zum Standard im Repertoire des so wandlungsfähigen Blasinstruments zählt, nicht mehr selbst erleben konnte. Dass beide Komponisten dem im Orchester und vor allem solistisch neuartigen Saxophon Werke zueigneten und beide sowohl Organisten als auch Pianisten waren, sieht sie teils in der ähnlichen Biotopographie der beiden begründet, denn sowohl Fernade Decruck als auch William Albright wirkten – aus entgegengesetzten Himmelsrichtungen kommend – mehrere Jahre in Paris wie in New York.

Für ihre erste CD, die auf einen Schlag ein breites Medienecho auslöste und die Klassikcharts stürmte , wählte Asya Fateyeva auch Shams (2010), ein Konzert ihres Lehrers in Lyon, Jean-Denis Michat. Es ist ganz auf das Alt-Saxophon abgestimmt, das unter den elf anderen Instrumenten seine Stimme durchgängig dominant erhebt. Es handelt sich bei dem scheinbar klassisch-dreisätzigen Konzert um eine Mélange, die von französischem Ambiente ebenso wie von arabischer Musik und Atmosphäre geprägt ist. Jacques Iberts (aber)witziges und für seine Entstehungszeit sehr avantgardistisch klingende Concertino da camera (1935) wird von Dirigent Michael Helmrath und den Brandenburger Symphonikern, mit denen Asya Fateyeva nicht zum ersten Mal zusammenarbeitet, mit geradezu nobler Zurückhaltung und einer dennoch stimmigen Akribie in den Details „begleitet“.

Erlebte auf klassischem Parkett einen nahezu kometenhaften Aufstieg: Asya Fateyeva mit ihrem besonderen Saxophon-Sound (Genuin 2016, B018GFL53G).
Erlebt auf klassischem Parkett einen nahezu kometenhaften Aufstieg: Asya Fateyeva mit ihrem besonderen Saxophon-Sound (Genuin 2016, B018GFL53G).

Im Ranking der besten Klassikalben sind Asya Fateyeva und ihre Klavierpartnerin Valeriya Myrosh in dieser Saison mit einem wirklichen Bestseller nun ganz oben angekommen. Zunächst ist dies angesichts der wenig bekannten Stücke erstaunlich. Genau genommen zeichnete sich der Erfolg aber schon vor drei Jahren ab, als die Saxophonistin den Deutschen Musikwettbewerb 2012 für sich entschied. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Musikerinnen als „Kammermusikschwestern“ im Geist ihres gemeinsamen Repertoires lange treu bleiben.

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