Aborigines-Impressionen

Den Gebrauch von stakkatierten Tremoli und einen sparsamen Tonvorrat würde man – prima vista – am ehesten der Minimal Music zuschreiben, doch entdeckte die akademische Musikkritik diese Merkmale bei einer Komponistin, deren Ansätze prinzipiell auf die Erkundung von Klängen abzielen: Sophie Lacazes Klaviertrio Histoire sans paroles (2002) gehört ebenso zu ihrem ungewöhnlichen kammermusikalischen Mikrokosmos wie das ein Jahr später entstandene Stück Sons – Jeux. Die „Geschichte ohne Worte“ zerfällt in zwei Teile, von denen der langsamere Schlussabschnitt in lange ausgehaltene Töne verhallt. Ebenso „ökonomisch“ ist das bewegtere Kammermusikstück für Klarinette und Klavier von 2003 gestaltet.

Unverwechselbar sind die gleichzeitig rituell-beschwörenden und rhythmisch prägnanten Werke der vormaligen Wahlaustralierin Sophie Lacaze, die heute in Montpellier lehrt (Guy Bompals, Australian Music Centre).
Unverwechselbar sind die gleichzeitig rituell-beschwörenden und rhythmisch prägnanten Werke der vormaligen Wahlaustralierin Sophie Lacaze, die heute in Montpellier lehrt (Guy Bompals, Australian Music Centre).

Beide Werke markieren die australische Zeit der aus Lourdes stammenden Schülerin von Pierre Boulez. Die Beobachtung, dass Sophie Lacaze mit einem geringen Tonvorrat ihre Klangwelten bildet, kann in mehrfacher Weise auch von ihrer Kammermusik für andere Bestzungen aus der Zeit bis 2006, ihrer Rückkehr nach Frankreich, gesagt werden. Ihrem (neben der menschlichen Stimme) bevorzugten Instrument Flöte widmete das Orchestre de Flûtes Francaises mit Pierre-Yves Artaud eine eigene Einspielung mit breitem thematischem Spektrum.

Bei  ihrer ersten Reise nach Australien 1996 hatte Sophie Lacaze die Kultur der Aborigines für sich entdeckt und seither viele Anregungen für das eigene Komponieren daraus bezogen. Charakteristische Rhythmen zeremonieller Klangerzeugung, der religiös motivierten Anrufung und des Tanzes beschäftigten sie seither. In Het Lam Gods II und And then there was the sun in the sky verband sie ihre auch ethnologischen Erkundungen mit europäischer Kammermusik. Rituell-beschwörende und ausgedehnte Konsonanzen bewegen sich hier in einer ruhigen, aber keineswegs statischen Klangumgebung vorwärts. Immer wieder einmal spielt das Didgeridoo als Soloinstrument in einer herkömmlich „weißen“ Besetzung eine Rolle, unter anderem in Le bécut (1998). Mit Voices of Australia suchte sie Sprechstimmen in teils komisch wirkenden Situationen mittels Wiederholung zu „rhythmisieren“.

In Sophie Lacazes "And then there was the sun in the sky" tritt das Didgeridoo solistisch auf (Nick Carson, 2009, GNU Free Doc. Lic.).
In Sophie Lacazes „And then there was the sun in the sky“ tritt das Didgeridoo solistisch auf (Nick Carson, 2009, GNU Free Doc. Lic.).

2015 beauftragte das in Paris angesiedelte Mozart-Orchester die in Montpellier lehrende Professorin mit einer Orchesterkomposition, aus der Sacrés caractères für Erzählstimme, Flöte, Fagott und Streicher resultierte; die Idee zur Komposition beruht sowohl auf Texten des Moralphilosophen La Bruyère als auch auf Auszügen aus Jean-Philippe Rameaus Cembalosuiten. Das so ganz andere Klavierstück Un parapluie et un manteau de paille („Ein Regenschirm und ein geflochtener Umhang“) wurde von Mariano Ferrandez im Februar vergangenen Jahres uraufgeführt.

Eine Auswahl aus Lacazes Kammermusik für Flöte (auch mit Vokalstimmen) bietet Pierre-Yves Artauds Querschnitt durch das Werk (B00133GYK8, solal 2007).
Eine Auswahl aus Lacazes Kammermusik für Flöte (auch mit Vokalstimmen) bietet Pierre-Yves Artauds Querschnitt (B00133GYK8, solal 2007).

Mit etlichen Werken trug sie bislang darüber hinaus zu den Mischgenres zwischen traditioneller Besetzung und programmierten elektronischen Klängen bei. Harfe und Flöte werden in dem 2015 entstandenen Stück Au milieu de la plaine („Inmitten der Ebene“) verschränkt. Bei Lacazes immer unverwechselbar originellen Kreationen stehen der Ton, seine Erzeugung ebenso wie seine Fortdauer und die Rhythmusbildung im Zentrum.

 

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