Die Komponistin Ruth Wylie (1916 – 1989), deren Geburtstag sich damit in diesem Jahr am 24. Juni zum 100. Mal jährt, stellte ihren trockenen und daher zündenden Humor gerne in knappen Statements unter Beweis. In einem ihrer Bonmots geht aus der Anerkennung New Yorks als kreativer Künstlerhochburg auch hervor, dass andere Regionen des weitläufigen Landes sich dahinter nicht zu verstecken bräuchten, denn sie existierten sozusagen als bestätigendes Korrektiv für die These der so apostrophierten Kulturhauptstadt Amerikas. An anderer Stelle bezeichnet sie sich mit verhohlenem Stolz als typisches Komponist(inn)engewächs aus dem mittleren Westen …

Entscheidend war für die fast ausschließlich am Komponieren interessierte Musikstudentin Ruth Wylie, dass sie ihr erstes Examen in Detroit abschloss. An der New Yorker Eastman School of Music folgte die Promotion nach Studienjahren bei dem seinerzeit landesweit renommierten (wenn auch stilistisch als konservativ zu bezeichnenden) Howard Hanson und seinem Kollegen Bernard Rogers. Sie erhielt zuerst einen Lehrauftrag an der Universität von Missouri und vervollkommnete ihre nicht nur theoretischen Kenntnisse im musikalischen Satz bei Größen wie Samuel Barber, Arthur Honegger und Aaron Copland in Tanglewood. Später lebte sie auch komponierend in den Bundesstaaten Utah und Colorado. Ihre Biographie verrät – wenn man bedenkt, dass sie wenigstens 60 bedeutende Werke schuf – durchaus, dass Wylie die akademische Karriere eher als Leiter zu ihrer eigentlichen Leidenschaft, dem Komponieren per se, nutzte.

Dies gelang ihr auf nicht ganz gewöhnliche Weise: Denn war ihr persönlicher Stil in den 1940er bis in die 1960er Jahre überwiegend von einem moderaten amerikanischen Neoklassizismus mit einer zum Teil musikdidaktischen Ausrichtung bestimmt, so widmete sie sich etwas seit 1967 eher dem Versuch, möglichst breit moderne und postmoderne Ausrichtungen, Zwölftontechnik, Mikrotonalität und elektroakustische Musikerzeugung zu rezipieren und zu verarbeiten, daraus jedoch gleichzeitig eine ästhetisch eigenständige Tonsprache zu entwickeln. Daraus gingen 1967 das Orchesterwerk Involution, 1978 die Suite Views from Beyond und 1983 Seven Scenes from Arthur Rackham für zwei Flöten, Oboe, Bratsche, Cello, Klavier und Schlagzeug hervor. Die Buchillustrationen des englischen Künstlers stellten für sie eine wichtige Inspirationsquelle dar.

Für die weithin berühmte amerikanische Flötistin Doriot Anthony Dwyer entstand 1984 das Solostück Flights of Fancy. Ebenso erlangte Wylies zwei Jahre später veröffentlichtes Konzert für Flöte und Orchester größere Popularität. Nicht zu übersehen sind auch die frühen Beiträge der aus Cincinnati gebürtigen Vertreterin des (nicht immer) „seriösen Fachs“ zum Ballett; ihre Musik für Klavier allein spannt sich von den Anfängen bis ins Jahr 1984 hinein. In ihrer Kammermusik erlaubte sich Wylie ein paar ernst gemeinte Späße in artistischer Form: Sie komponierte 1966 die Hymne zur Kampagne Haltet Michigan sauber und schön, fügte das Cembalo wegen seiner klirrend-schwirrenden Klangqualitäten dem Kammermusikstück Toward Sirius bei und sah sich im Herbst 1982 zu einer elegische(re)n November Music für Violoncello und Klavier veranlasst.
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