Kaum ein Komponist hat sich in Brasilien bislang mehr für die musikalische Entwicklung seines Heimatstaates eingesetzt: Bahías aktuelle progressive Klangkulturen sind ohne Jamary Oliveiras spielfreudige Experimente kaum denkbar. Seit dem Ende der 1960er Jahre widmete sich der studierte Flötist, Bratschist und Tubist aus Saúde mit Vorliebe Zwölftonverfahren und so genannter aleatorischer Musik. Dabei deutete die ungewöhnliche Wahl des erlernten Instrumentariums schon auf vielseitige und vielschichtige Interessen hin. Derzeit arbeitet er an etwas wiederum gänzlich Anderem: Als Hochschullehrer treibt er maßgeblich die Entwicklung der PCN-Software zur Analyse von Notentexten voran, die gleichermaßen der Komposition dient.

Dennoch handelt es sich hier um eine Konsequenz aus frühen Studien: Als Schüler von Edino Krieger und Ernst Widmer an der Universität von Salvador da Bahía packte Jamary Oliveira schon früh der Ehrgeiz, in den Fächern Musiktheorie und elektronische Musik weiterzuforschen. Seit mehr als vierzig Jahren ist er nunmehr Dozent auch für diese Fächer an dieser Hochschule. Den Doktorhut hatte er als Resultat weiterer Studienzeiten in den USA, nämlich an der Brandeis University und an der University of Texas in Austin erworben. Zu seinen Verdiensten zählt unter vielem anderen die Mitbegründung der Grupo de Compositores de Bahía und der Brasilianischen Gesellschaft für Zeitgenössische Musik. Seit 1994 ist er Mitglied der Musikakademie des Halbkontinents.

Der immer noch mit den neuesten technischen Entwicklungen sowohl in der musikalischen Theorie als auch Praxis verbundene Hochschullehrer ist mit der namhaften Pianistin und Komponistin Alda Oliveira verheiratet. Als kreativer Künstler deckt er auch thematisch eine große Bandbreite ab: Neben dem Schreiben zahlreicher Kammermusikwerke wie Simetrías (1982) für Klarinette und Klavier, einem Streichquartett, Reminiscências für Violine mit Klavier und wenigstens aus europäischer Perspektive eher ungewohnten instrumentalen Mixturen oder den 1999 entstandenen Três Brincadeiras für drei Klarinetten bereicherte er den Kanon der elektroakustischen Szene durch Mutação I e Mutação II (2002). Bekannt wurde er mit seiner Orchestermusik, etwa mit O Sertão, Pseudópodes I und Delta in den 1970er Jahren und bereits 1966 mit einem (für brasilianische Verhältnisse quasi selbstverständlichen) Cross-over-Projekt wie 4 Movimentos de Jazz. Zur Kirchenmusik trug Oliveira mit einem Sanctus (1971) für 10 Vokalsolisten, 10 Metronome (!) und Chor bei.
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