Schafften es die bedeutendsten Komponisten der Operette in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vergessen zu machen, dass sich das Genre wesentlich aus den Gesängen zur Wiener Posse und zum Volkstheater nährte? Mit seinen Wurzeln im Stegreiftheater der Commedia dell’Arte und in der englischen Ballad Opera hatte es die Operette gerade in Franz Lehárs Jahren nicht leicht, sich im übermächtigen Opernbetrieb einen höheren Platz auf dem Parnass zu sichern. Und doch versuchte er dies im Anschluss an Johann Strauss‘ bahnbrechenden Erfolg des wenn auch aristokratisch verorteten Zigeunerbarons und des heutigen „Silvesterknallers“ Fledermaus. Bewusst suchte sich Lehár dem Melodiespektrum des staatlich etablierten Musiktheaters anzunähern.

Die Ergebnisse dieser Bemühungen wusste das Budapester Operettentheater unter der Gesamtregie von Miklós-Gábor Kerényi am Abend des 2. Weihnachtsfeiertags im Münchener Gasteig einmal mehr professionell umzusetzen. Auch nach der Nachmittagsvorstellung wirkten die beteiligten Ensemble einschließlich des famos musizierenden Orchesters unter Daniel Somogyi-Tóth makellos frisch und präsent wie zur Premiere. Um die vielgesichtige Show nicht zum beliebig gemischten Potpourri zu degradieren, waren die vier Teile der Aufführung thematischen Motti unterstellt.

Der erste Teil war dem lebendigen Andenken Emmerich Kálmáns gewidmet und insbesondere den großen Liedern seiner Csárdásfürstin, während vor der Pause die Aufmerksamkeit dem szenischen Spiel rund um die solistischen männlichen Tänzer des Corps de Ballet galt. Unter der Betitelung Ein Bodyguard ist nie genug erklangen Ralph Benatzkys Drei Musketiere ebenso wie Lehárs von Jonas Kaufmann gerne zelebriertes Lied Dein ist mein ganzes Herz in einer sehr einfühlsamen Interpretation von Oleg Korzh. Zu sehen war die männliche Tanztruppe in traditioneller ungarischer Militäruniform. Und wiederum brillierte gerade in den akrobatischen tänzerischen Akten die weltweit populäre Marika Oszvald und erhielt nachhaltigen Beifall; sie konnte es nicht nur stimmlich mit den jüngsten der insgesamt professionell ausgebildeten und erfahrenen Solistinnen und Solisten aufnehmen.

Im zweiten Teil des großen Spektakulums (in musikalischer Hinsicht wie auch dem Bühnenspiel nach) profitierten Solisten wie Anita Lukács und Moderator Zsolt Homonnay von ihrer Ausbildung und Expertise im Musicaltheater: Etliche große Szenen und Duette aus Bernsteins West Side Story bildeten einen eigenen Schwerpunkt, darunter die Darbietung von America – ganz sicher der Höhepunkt dieses Abends. Als amüsante Einlage demonstrierten drei der singenden Tänzer gewagte Sprünge mit Känguruhbällen. Schließlich konnten die Konzertbesucher auch magyarischen Klangzauber miterleben: Mit einem oder zwei Füßen im mitreißenden Milieu der ungarischen Zigeuner erwies die Truppe Ungarischem Blut seine Reverenz, unter anderem dank solcher Nummern wie Höre ich Zigeunergeigen aus Gräfin Mariza.

Gerade der letzte und ungarischste Teil des Programms ließ die manchmal allzu sehr an die abgeschmackte Welt eines Baden-Badeners Spielcasinos erinnernde Sphäre der deutschen Operette vergessen machen. Hier kam vielmehr – wenn auch mit etwas weniger Temperament als vor drei Jahren am selben Ort – der glühend sehnsuchtsvolle Traum von der Liebe und vom Glück, ein Hauptzug der Operette an sich, neben den witzig inszenierten stimmlichen und tänzerischen Rangeleien zwischen Männern und Frauen ganz zu seinem Recht. Stimmlich ließen vor allem Dávid Szabó mit seiner klaren Deklamation im Deutschen ebenso wie im Ungarischen und Cross-over-Opernsängerin Tímea Vermes keine Wünsche offen. Die bunte und dennoch geschmackvolle Gesamtinszenierung wurde so am Samstagabend in München zu einem wahren „großen Fest der Operette“.
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