Friedlich ging es auf der südlich von Kuba gelegenen drittgrößten Insel der Antillen selten zu: Die Urbevölkerung der Arawaks wurde zuerst von den Spaniern, die im Gefolge von Christoph Kolumbus erschienen, bedroht. Später sollten die Indigenen ihre Insel mit Leib und Leben gegen die Briten verteidigen, während sich die Besatzer selbst aus dem Staub machten. Die Maroons, Nachfahren der Sklaven aus Ghana und anderen afrikanischen Ländern suchten ihre Zuflucht in entlegeneren Landesteilen, wo sie eine vor allem vom Rhythmus des Schlagwerks geprägte akustische Kultur pflegten, die sicherlich auf religiöse Riten unter Einbeziehung von Tänzen zurückzuführen ist. Die noch bis ins 19. Jahrhundert von den Plantagenbesitzern ausgebeuteten angolanischen Sklaven bildeten die Bevölkerung der „Bongo Nation“, die ihren eigenen Musikstil Kumina weiter verbreitete.

Die Entwicklung beider Richtungen ist für den bis heute andauernden Reichtum der folkloristischen Tradition auf Jamaika verantwortlich. Nicht nur afrikanische und spanische Elemente wurden seit der Abschaffung der Sklaverei vermischt, auch irische, britische und indisch-hindustanische Merkmale kamen hinzu. Ohne den sprichwörtlich gewordenen Witz und die Kreativität der Insulaner wäre diese Fusion aber weniger erfolgreich geworden als sie es im 21. Jahrhundert faktisch (weltweit) ist. Bevor sich der Reggae durch Bob Marley & The Wailers Ende der 1960er Jahre entwickeln konnte, hatte sich bereits der Ska durchgesetzt, dessen wichtigste Triebfeder der soziale und im Lied ausgesprochene Protest angesichts schlechter Lebensbedingungen auch nach der Unabhängigkeit 1962 bildete. Der Name des Stils geht vermutlich auf die Band The Skatalites zurück, die eine Brücke vom Mento zum amerikanischem Rhythm & Blues und Jazz bauten.

Im Instrumentarium des Reggae spielen neben den Vokalstimmen natürlich bis heute Blechblasinstrumente, Trommeln und elektronische Musikinstrumente die Hauptrollen. Mit den Jahren nahm zwar die Beliebtheit des Roots Reggae von 1969 deutlich ab, doch setzen sich auch die Musiker der dritten Generation auf dem Plattenmarkt weiter durch – nicht zuletzt dank Ziggy Marley, einem der Söhne des berühmt gewordenen Vaters. Auch das moderne Leben verläuft im lautesten und gleichzeitig „frömmsten“ Eiland nicht ohne Probleme, wozu Jugendarbeitslosigkeit und die Marihuana-Sucht nicht unerheblich beigetragen haben. Nach der Kultur der Rastafaris genießt mittlerweile der Dancehall-Stil mit seinen Hiphop-Wurzeln einen (sehr) guten Ruf: Elephant Man und Sean Paul ebenso wie Beenie Man gehören zu seinen vor allem auch in den Vereinigten Staaten gefragten Exponenten.

Wer Gefallen an klassischen Interpretationen traditioneller jamaikanischer Folklore hat, sollte sich die Lieddeutungen vom bereits legendären Bass-Sänger Willard White (der ja sonst auch als Ikone für amerikanische Spirituals steht) und dem Pianisten Graeme McNaught zu Gemüte führen. Auf deren Einspielung mit Beispielen von Jamaika und Barbados findet sich leider nur eine kleine Auswahl, nämlich die drei zu Ohrwürmern gewordenen Lieder Linstead Market, Murder in the Market und Cordelia Brown.
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