Von der italienischen Oper zur Landesgeschichte

Betrachtet man das Staatsgefüge Portugals seit der frühen Neuzeit, fällt seine geohistorische Vielgestaltigkeit ins Auge, denn schließlich gehörte neben Brasilien und den afrikanischen Kolonien auch Macao im südchinesischen Meer zu seinen temporären Besitzungen. So erstaunt es nicht, dass die Künste des auf die Sicherung exterritorialer Gebiete ausgerichteten Königtums gerade zur Zeit der Festigung der eroberten Länder ihre größte Blützezeit erleben. Mit dem Ausgangspunkt in der Kirche ist gerade von der Renaissanceepoche bis in die Barockzeit hinein ein reges Musikleben zu verzeichnen: Namen wie Manuel Rodrigues Coelho, Duarte Lobo und Carlos Seixas kannte man derzeit in ganz Europa. Auch während des 18. Jahrhunderts, im Zuge der Herausbildung des klassischen Stils der Mannheimer und Wiener Schule, machten portugiesische Komponisten von sich reden: neben António Teixeira und Francisco de Almeida, die beide noch unter dem Einfluss des italienischen Barock standen, auch ein innovativer Tonsetzer wie António Pereira da Costa.

Eine Improvisation als Strauss auf den klassisch-romantischen Komponisten Guilherme Cossoul brachte die Indie-Truppe Sta. Apolónia, benannt nach dem Nordbahnhof von Lissabon, aus (B007U7GS34 DDJ Records 2012).
Eine Improvisation als Strauss auf den klassisch-romantischen Komponisten Guilherme Cossoul brachte die Indie-Truppe Sta. Apolónia, benannt nach dem Nordbahnhof von Lissabon, mit dem Album Ep II aus (B007U7GS34 DDJ Records 2012).

In Mode kamen etwa seit 1880 die brasilianischen Modinhas, sentimental angehauchte Lieder mit Gitarren- oder Klavierbegleitung. Es wird vermutet, dass sie die Entwicklung des heutigen nur für Portugal spezifischen Fado beeinflussten. Selbst nach 1800 beherrschten die italienische sowohl die Oper als auch die Ausrichtung der Instrumentalmusik. Im Zuge nationalromantischer Wendungen im gesamten Europa griffen Komponisten zunehmend auf Stoffe der eigenen Landesgeschichte zurück. António Guilherme Cossoul (1828 – 1880) vollzog diesen Wandel schon vor seinen hochaktiven Jahren als Direktor der Musikschule des Konservatoriums in Lissabon mit; er komponierte nicht weniger als 37 größere Werke, darunter die populären Operetten A Cisterna do Diabo („Die Zisterne des Teufels“, 1850), O Arrieiro (1852) und die komische, auf folkloristisch-historischer Überlieferung beruhende Operette O Visionário do Alentejo.

Im Lissabonner Jardim do Torel befindet sich eine Statue zu Ehren des Komponisten José Viana da Mota (CorreiaPM, 5.7.2008, p.d.).
Im Lissaboner Jardim do Torel befindet sich eine Statue zu Ehren des Komponisten José Viana da Mota (CorreiaPM, 5.7.2008, p.d.).

Nachdem die erste Oper der portugiesischen Musikgeschichte, Serrana von Alfredo Keil ihre Uraufführung erlebt – und für national(romantisch)e Begeisterung gesorgt hatte, konnte sich der wie Cossoul aus Lissabon stammende Student bei Albert Lavignac in Paris und spätere Theaterdirektor Augusto de Oliveira Machado (1845 – 1924) mit seinem Ballett Zefiretto 1869 auf der klassischen Bühne seiner Heimatstadt durchsetzen. In Folge versuchte er eine portugiesische Nationaloperette zu schaffen, blieb aber während der gesamten Zeit seines Schaffens dem französischen Typus sowohl der opéra comique als auch der Operette verhaftet. Er schuf mit A cruz de ouro („Das goldene Kreuz“, 1873), A guitarra (1878) und Piccolino (1883) bedeutende „Publikumsmagneten“ für das Theater, aber nur wenige Instrumentalwerke.

Die patriotische Symphonie von José Viana da Mota wurde 2011 für das Label Northern Flowers eingespielt (Codaex B0058TJOTG).
Die Patriotische Symphonie von José Viana da Mota wurde vom Philharmonischen Orchester St. Petersburg unter Leitung von Mario Mateus für das Label Northern Flowers eingespielt (Codaex B0058TJOTG, 2012).

Die Dominanz der Vokalmusik in Portugal konnte allerdings erst durch die Bemühungen von José Viana da Mota (1868 – 1948) in Verbindung mit seinem jüngeren Landsmann Luis de Freitas Branco aufgebrochen werden. Da sich Viana da Mota zusätzlich in Berlin bei Xaver und Philipp Scharwenka und in Frankfurt am Main ausbilden ließ und da er nicht zuletzt dank seiner anschließenden Pianistenkarriere in Genf die Kompositionsklasse am Konservatorium übernehmen konnte, brachte er „frische“ Ideen und modischen Geschmack nach Lissabon mit. Seine Symphonia Patria sowie seine Werke für Klavier und Orchester – letztere in der Reihe The Romantic Piano Concerto bei Hyperion – liegen mittlerweile als CD-Einspielungen vor, sein musikhistorisch bedeutsamer Briefwechsel mit Ferrucio Busoni wurde veröffentlicht.

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