War er nun mehr britischer als polnischer Komponist? Unzweifelhaft bleib er letzteres, auch wenn der 1914 geborene spätere Dirigent Andrzej Panufnik nach Engagements als Leiter der Krakauer und Warschauer Philharmoniker seit 1954 bis zu seinem Lebensende in England wirkte. Von 1957 an unterstand ihm für drei Jahre das City of Birmingham Symphony Orchestra, nach dieser Zeit konzentrierte er sich aber überwiegend und mit hoher Intensität auf die Erweiterung seines eigenen Werkkatalogs.

Der erfinderische Musikbegeisterte komponierte schon als Kind und begann sich bei Kazimierz Sikorski am Warschauer Konservatorium zu professionalisieren. Zur berufsorientierten Ergänzung seiner Ausbildung studierte er anschließend Dirigieren mit Felix Weingartner in Wien, anschließend bei Philippe Gaubert in Paris. Gerade während der besonders gefährlichen Jahre der deutschen Besatzung Warschaus lebte er in der Hauptstadt und gab Untergrundkonzerte unter anderem zusammen mit Witold Lutosławski. Alle seine Werke wurden während des Warschauer Aufstandes vernichtet, er konnte nur ein paar danach wieder rekonstruieren.

Andrzej Panufnik schrieb zwar auch etliches für Kammermusikbesetzungen, Klavier alleine, Vokales und Ballettmusiken, doch in erster Linie sah er sich – in enger Verbindung zu der Berufung des Dirigenten – als Symphoniker. Zwischen der ersten offiziell heute bekannten Symphonie Rustica von 1948 und der zehnten liegen fast exakt vierzig Jahre, in denen er für diverse Orchesterbesetzungen, hin und wieder auch mit einem Solisten an der Spitze, komponierte. Dazu gehören zunächst in Anlehnung an den Neoklassizismus ein Concerto in Modo Antico von 1951, die Hommage Polonia (1959), Landscape (1962) für Streicher, ein Klavierkonzert aus demselben Jahr, das musikalische Mahnmal Katyn Epitaph von 1967, sein bis heute sehr beliebtes Konzert für Fagott und kleines Orchester (1985) und ein Cellokonzert (1991) als letztes Werk. Populär inner- und außerhalb Polens wurden zudem seine dritte, Sinfonia sacra (1963) und die neunte, Sinfonia di speranza (1986). Seit dem Klavierstück Reflections von 1968 setzte sich sein eigenes, auf der Dreizontelle f-h-e beruhendes Tonsystem, das er bis dahin kontinuierlich entwickelt hatte, durch.

Der sympathische Komponist arbeitete sehr selbstkritisch, eine Vielzahl seiner Werke revidierte er wenige Jahre nach ihrer Niederschrift oder Herausgabe. Sein penibler Arbeitsmodus ist auch an der 10. Symphonie spürbar, die er 1988 beendete, aber schon 1990 wieder veränderte. Sie erschien am 4. September 2015 beim Label Lso live gekoppelt mit der Nr. 10 von Sir Peter Maxwell Davies, wobei es sich in beiden Fällen um Weltersteinspielungen handelt. Das London Symphony Orchestra dirigiert hier Sir Antonio Pappano. Andrzej Panufnik, dessen 1968 geborene Tochter Roxanna übrigens gleichfalls Komponistin wurde, zeigte auch noch in späteren Jahren Sinn für satztechnisches Experimentieren: Die „Geometrie“ der Symphonie entstand nämlich unter dem Einfluss der Fibonacci-Reihe. Ihre hier vorliegende Aufnahme wurde anlässlich des 10. Todestags des Komponisten vom polnischen Adam-Mickiewicz-Institut unterstützt.
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