Viktor Lukas und seinem Ensemble ist es zu verdanken, dass Wilhelmine, die Schwester Friedrichs des Großen und (zeittypisch) unfreiwillig verheiratete Markgräfin von Bayreuth (1709 – 1758) weiter im aktiven Gedächtnis des Klassikhörers blieb: Nach einer Aufnahme von 2010 mit der Flötistin Elisabeth Weinzierl und Philipp von Morgen am Violoncello, die vorwiegend Kompositionen anderer Meister des Rokoko an Wilhelmines Musenhof, nämlich von Quantz, Kleinknecht, Hasse und Graun bietet, erschien 2014 ihr schwer datierbares Cembalokonzert g-Moll nebst Arien aus dem lange verschollenen Trauerspiel Argenore von 1740 mit dem Lukas Consort. Der Leiter und Cembalist, Viktor Lukas, gilt als versierter und gefeierter Organist, Dirigent und Hochschullehrer, der nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion, ganz Europa, den USA, China und Korea in Sachen Musik unterwegs war, sondern auch Gastvorlesungen an amerikanischen Universitäten hielt.

Stilistisch lässt sich das Cembalokonzert, Kernstück der Aufnahme, nahezu exakt auf der Grenzlinie zwischen spätbarocker Manier – in der Satzweise mit Werken von Johann Joachim Quantz und aus einer noch älteren Schule vergleichbar – und dem ästhetischen Verständnis der Vorklassik platzieren. Es atmet die luftige Leichtigkeit von Ensemblemusik in höfischen Gärten und folgt gleichzeitig einer strengen Form, wobei die melodischen Einfälle im zweiten, langsamen Satz Cantabile in ihrer Anmut teils mehr dem Geist der Rokokozeit folgen, der es, wenigstens zeitlich betrachtet, eigentlich entspringt. Das Lukas Consort sorgt für eine glasklare, fein ausgearbeitete Interpretation in eher abgedämpftem Tempo; gerade in den Ecksätzen hätte sich mancher Hörer wohl einen stärker vorwärtstreibenden Gestus gewünscht, wie ihn beispielsweise die Academy of St.-Martin-In-the-Fields pflegt. Dem Werk selbst eignet durchaus – unter Berücksichtigung der noch barock anmutenden Satzstruktur – auch der vorauseilende Elan des am Horizont heraufziehenden Sturm und Drang.

Gerade die Einleitung des ersten Satzes Allegro erinnert deutlich an Anfänge der Violin- und Cembalokonzerte von J.S. Bach und Konzerte von seinem Sohn Wilhelm Friedemann und man gewinnt hier ebenso wie beim dritten und recht knappen Satz, einer Gavotte, das Gefühl, dass hier noch den „alten Meistern“ aus der Hoch-Zeit der Barockpolyphonie gehuldigt wird. Dies gilt bis ins Detail ebenso für die Kadenzen des Solisten, der – im Falle der vorliegenden Einspielung – im zweiten Satz mehr barocker als frühklassischer Agogik folgt. Vergleicht man jedenfalls die standesbewusste Haltung Wilhelmines mit der an ihrem Hof ebenfalls – dank ihrer Protektion – als Komponistin aktiven Anna Bon di Venezia, so fällt auf, dass die um dreißig Jahre jüngere Flötenvirtuosin selbst im höfischen Ambiente von Bayreuth schon ganz dem modernen Stil der Vorklassik zu entsprechen sucht.

Die in Gesang, an der Laute wie am Klavier und auch im Tanz ausgebildete Gräfin war als Künstlerin vielseitig aktiv: Sie malte und dichtete neben dem Komponieren; unter anderem schrieb sie am Libretto einer Oper Semiramis nach Voltaire und verfasste die Libretti zu den Musikdramen L’huomo und Amalthea. Mit erstaunlichem Engagement setzte sie sich für andere Künstlerinnen und Künstler ein und brachte 1754 auch die Oper Il trionfo della fedeltà von Maria Antonia Walpurgis am Hof zur Aufführung. Es ist für die Entwicklung der Bayreuther Musikgeschichte sehr bedauerlich, dass mit ihrem frühen Tod im Jahr 1758 die große Zeit des markgräflichen Opernhauses ihr Ende fand. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stellt sie – wenn man die kulturelle Kartographie Nordeuropas und des deutschsprachigen Raums zusammen betrachtet – als komponierende Frau und Musikmäzenin eine absolute Ausnahme dar.
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