Solange die conditio humana gewahrt bleibt, ist nach Linda Kouvaras‘ eigenen Worten alles möglich: popmusikalische Stilrichtungen, Minimalismus, Neomodales und -tonales, Humorvolles, Tragisches, Kitsch und Hochkultur. Dabei dreht die in Melbourne lebende Pianistin und Crossover-Komponistin auch als Wissenschaftlerin an der Werkbank: Ihr Buch zu einem Thema, in dem sie als Praktikerin – vielfach vernetzt – ohnehin aktiv ist und war, erschien vor zwei Jahren bei Ashgate unter dem Titel Die Stille aufladen – Australische Klangkunst im postdigitalen Zeitalter. Einen charakteristischen Beleg für ihre Zuwendung zu den lustigen Seiten der Musik lieferte Kouvaras mit dem Chorwerk Inflight! von 2004, in dem eine bluesähnliche Untergrundbegleitung sozusagen den „Orgelpunkt“ ersetzt …

Dabei ist Linda Ioanna Kouvaras, die in den 1980er Jahren in Großbritannien Musikwissenschaft studierte und sich mit einer Doktorarbeit postgraduierte, keine im strengen Sinn ausgebildete Pianistin. Die instrumentalen Fertigkeiten erwarb die gleichermaßen literaturbeflissene Musikerin in der Punk- und Waveband Voxpop zusammen mit dem in die Popmusikgeschichte an prominenter Stelle eingegangenen Coinitiator Richard Ward; später wurde sie auch von Brenton Broadstock, Richard Zatorski und Stuart Greenbaum gefördert. So erklärt sich auch ihr Selbstverständnis als Künstlerin, die gerne die Seiten zwischen den Stilrichtungen wechselt und sich gerne auf der Grenze selbst bewegt.

Im Hinblick auf ihre „Programme“ deckt Linda Kouvaras eine große stofflich-motivische Bandbreite ab: Die Faszination der Lorelei-Erzählungen motivierte sie zu einer gleichnamigen Komposition für Chor und Klavier, Aristophanes‘ Komödie Lysistrata zu einer Reihe von Miniaturen für Violine allein mit dem Titelzusatz: they are all deserting (2002), zu denen sie in Melbourne Matthew Hindson inspirierte. Dabei bleibt der Bezug zu spezifisch australischen Örtlichkeiten, Personen oder Dingen ohne eindeutige Identifikation gewahrt.

Von den meisten ihrer unmittelbaren Kollegen unterscheidet sich Kouvaras durch eine beachtliche Zahl von CD-Produktionen: 1990 erschienen Piano Music – als CD beim Label Mis 2004 (B0002TKXW4) – und The Team of Pianists bei Move Records, acht Jahre später folgten Bright Tracks und Repose, im Jahr 2000 Piano Works und 2002 Giants in the Lands. Derzeit arbeitet sie als Hochschuldozentin an der Universität Melbourne und der Australian Catholic University; ihre Forschungen zur postmodernen Musik, insbesondere aus den Jahren 2005 bis 2007, erlangten international Beachtung. Sie ist eine der ganz wenigen Expert(inn)en für aktuelle australische Musik, zu der ihre Publikation bei Ashgate allen Interessierten reiches und tiefgängiges Material an die Hand gibt.
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