Von der seltenen Viola und dem unglaublichen Flötisten

Leonard Bernstein, Elliott Carter und Frederic Rzewski zählten zu seinen Schülern, in den Orchestrierungen seiner eigenen Werke galt er als strikter Verfechter des Kontrapunkts. Die Rede ist von dem in Rockland im Bundesstaat Maine geborenen Walter Piston (1894 – 1976), dessen Großvater einst mit dem Namen Antonio Pistone von Genua in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. Neben seiner Lehrtätigkeit als Hochschullehrer in Harvard war er nicht nur ein emsiger Komponist, sondern verfasste auch Standardwerke wie Harmony (1941), Counterpoint (1947) und Orchestration (1955). Seine Notenhandschrift – auch in den Handbuchbeispielen, die er selbst abschrieb –  war so klar, dass seine Orchesterpartituren fast ausnahmslos als Faksimiles veröffentlicht werden konnten …

Dem Boston Pops Orchestra hatte Walter Piston sein Ballett The Incredible Flutist auf den Leib geschrieben (Garrett A. Wollman, 4.7.2005)
Dem Boston Pops Orchestra hatte Walter Piston sein Ballett The Incredible Flutist auf den Leib geschrieben (Garrett A. Wollman, 4.7.2005)

Insbesondere in Pistons acht Symphonien verbindet sich die spezifische kontrapunktische Strenge mit jazzinspirierten harten Klängen zu einer expressiven, überwiegend modern gefärbten spätromantischen Tonsprache, die sich nur zum Teil mit derjenigen seiner amerikanischen Zeitgenossen Charles Ives und Carl Ruggles vergleichen lässt. Immer wieder relativieren den Eindruck kraftvoller Expressivität aber elegische Momente wie in den langsamen Sätzen oder schwungvoll-tänzerische Passagen wie etwa in den schnellen Abschnitten der 5. Symphonie (1954). Auch sein kammermusikalisches Werk erfuhr Aufmerksamkeit, ebenso auf Tonträgern. 1957 schrieb er ein Konzert für die sonst ja als Soloinstrument stiefmütterlich behandelte Viola. Eine Besonderheit stellt allerdings Pistons einzige große Ballettkomposition, The Incredible Flutist (1938), für das bis heute bestehende Boston Pops Orchestra unter Arthur Fiedler dar.

Das Bühnenbild präsentiert einen Marktplatz, auf dem sich allerhand Leute tummeln und ein Zirkus auftritt. Hier agiert ein Flötist als Schlangenbeschwörer, der auch die Damenwelt umgarnt. Eine reiche Witwe flirtet auf dem Platz mit einem Kaufmann und wird von ihrem Liebhaber gestellt, woraufhin sie in Ohnmacht fällt. Dem Flötisten gelingt es mit seiner Musik aber sie wieder zu Bewusstsein zu bringen. Daraufhin verlässt der Zirkus die Szenerie. Das Ballett erfuhr erst 1940 unter Fritz Reiner seine Uraufführung mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra. Pistons Schüler Elliott Carter bemerkte zu der Komposition, dass es seinem Lehrer, der seit 1926 in Belmont im Staat Massachusetts lebte, gelungen sei, die Musik selbst so allgemeingültig zu halten, dass der Marktplatz „irgendwo“ sein könnte und jedenfalls keiner bestimmten Stadt oder Region zugewiesen werden könnte, weil das Lokalkolorit ganz fehlt.

Eine sehr gelungene Aufnahme mit dem Louisville Orchestra wurde beim Label First Edition herausgegeben (ASIN B00009EIQ8)
Eine sehr gelungene Aufnahme mit dem Louisville Orchestra wurde beim Label First Edition herausgegeben (ASIN B00009EIQ8)

Eine Aufnahme des Balletts liegt in einer hörenswerten älteren Aufnahme mit dem legendären Dirigenten und Komponisten Howard Hanson in der Reihe Mercury Living Presence vor (Philips 2004, ASIN B00035VV82). Empfehlenswerte, da klanglich und interpretatorisch ausgewogene neuere Einspielungen der 5., 7. und 8. Symphonie zusammen mit Pistons Serenata bietet das Label First Edition (Naxos) mit dem Louisville Orchestra aus dem Jahr 2006.

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