Ausgehend von der anerkannten These, dass Spanien einen wesentlich umfassenderen und tiefgreifenderen Beitrag zur musikalischen Entwicklung Kubas und Puerto Ricos leistete als dies Großbritannien in seinen Kolonien tat, lässt sich der Jíbaro mit seinen Tanz- und Liedvarianten als weit verbreitete Gattung beschreiben. Er geht geographisch zurück auf die unter dem Einfluss der spanischen Kolonisten stehenden Bergregionen im Inneren der Insel zurück, die zu einem großen Teil seit Generationen das Land bebauen.

Es handelt sich demnach nicht um eine indigene, sondern eine dezidiert von Weißen gepflegte Folklore mit spanischen Wurzeln, die aber auf Puerto Rico einer individuellen Entwicklung unterworfen war. Die zehnzeilige (décima) und die vierzeilige Strophenform (copla) sind entscheidend für den Seis und den Aguinaldo, die sich eher hinsichtlich ihrer Funktion unterscheiden. Dabei kommt der Seis sowohl in einer Tanz- als auch einer Liedversion vor. Er steht im Zweiertakt und weist zahlreiche Synkopierungen ebenso wie triolische rhythmische Figuren auf. Thematisiert wird seit den 1940er Jahren häufig die Migration in die USA, die einen merklichen Rückgang in der Praxis des Jíbaro mit sich brachte. Aber auch Religion, Nationalismus und Klatsch gehören zu den favorisierten Gegenständen der Texte.
Die Ausführenden des Seis treten gerne in einen Wettstreit untereinander, der mit Satire, Spott und Humorn gewürzt ist. Gespielt wird in der Regel auf spanischer Gitarre, Mandoline und dem Cuatrobis fünfchörigen Gitarrenform. so etwa Seis cinco, der Aguinaldo, Chorreao, Villarán und die Llanera – auf der 2005 herausgegebenen CD Jíbaro des puertoricanischen Saxophonisten Miguel Zenón (Marsalis Music, B0008FPJ9E). Interessant ist übrigens, dass die Traditionen dieser und weiterer Tänze aus dem Jíbaro-Repertoire heute von Puertoricanern auf Hawaii (!) weitergepflegt werden.

Eine auch quantitativ bedeutendere Rolle als der Jíbaro spielt das afrikanische Erbe im Mutterland. Die Patronatsfeste an der Südküste zeigen in szenischen Darstellungen die Kämpfe zwischen Christen und Mauren, wobei die Bomba getanzt wird, bei der als Instrumente fassförmige Trommeln verwendet werden, außerdem zwei Holzstücke, Cuás genannt, Kuhglocke und Maracas. Neben pentatonischen Melodien und der responsorialen Struktur der Gesangsparts sind als Besonderheit vor allem die polyrhythmischen Elemente zu nennen. Beispiele dieser ursprünglich afrikanischen Musiktradition liegen auf der ebenso 2005 erschienenen CD Puerto Rico (Putumayo, B00004SR2R) vor.
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