Fagöttliches Repertoire

Zum Konzert an der Musikhochschule München am 8. November 2024 … lässt sich viel sagen, vor Allem, dass das Programm über einen weiten Ambitus verfügte, um in der Musikidiomatik zu bleiben. Dass deshalb nicht alle aufgeführten, im Übrigen nicht zu kurzen Stücke Originalliteratur waren, versteht sich, denn das Fagott als solistisches Instrument mit Orchester wurde wohl erstmals von Vivaldi in seinem Konzert in e-Moll (RV 484) um 1720 verwendet.

Die Fagottistin Anna Ernst bringt zusammen mit Ilhae Kim J.S. Bachs ‚Triosonate G-Dur‘ im Kleinen Konzertsaal der Münchner Musikhochschule zu Gehör. (H.-P. Mederer)

Der erste Programmpunkt galt jedoch einer bekannten Triosonate von Johann Sebastian Bach in G-Dur (BWV 1027) in einer adaptierten Fassung für Fagott und Klavier. Das technisch und den Anforderungen an den Ausdruck nach sehr anspruchsvolle und bereits der empfindsamen Epoche korrespondierende Werk ließ vor allem bei den Partien in höherer Stimmlage aufhorchen, die dem Fagott eine gesangliche Qualität verliehen, obwohl die dafür gerne zusammen mit der Viola gebrauchte Violine eine Duett-Besetzung darstellt bzw. eine Doppelbesetzung neben dem Cembalo erforderlich ist. Letzteres stand der Solistin Anna Ernst in Person von Ilhae Kim in perfekter klanglicher Ergänzung zur Seite. Hätte man sonst Bedenken, das Fagott könne die Struktur des Basso-continuo-Satzes überdecken, so ergab sich die dynamische Ausgewogenheit beider Instrumente im Zusammenspiel ganz natürlich.

Telemanns Sonate e-Moll (TWV 41) ist äußerst vielseitig und bietet dem Interpreten, hier Elias Neuwirth mit ILhae Kim, so manche schöne Melodik und tänzerischen Schwung. (H.-P. Mederer)

Interimspassagen munterer Tanzmusik boten bei der anschließenden melodiös dahinfließenden Sonate e-Moll (TWV 41: e5) von Georg Philipp Telemann, die eigentlich für Viola da Gamba vorgesehen war, zusätzliche Abwechslung. Elias Neuwirth gelangen wiederum in Verbindung mit der Cembalistin Ilhae Kim auch die raschen Abschnitte elegant und mühelos.

Das französische Fagott, das zum Konzert der Fagottklasse in München am 8. Norvember 2024 neben dem deutschen zum Einsatz kam, klingt höher. (Mark Drummer, 5.3.2021, CC-Liz.)

Ein besonderer Wunsch des Spiritus rector der Fagottklasse an der Münchner Musikhochschule, Dag Jensen, war es sicherlich, ein Solostück seines norwegischen Landsmanns Olav Berg zur Aufführung zu bringen. Abgesehen davon, dass darin zahlreiche mögliche Anblasvarianten des Fagotts erprobt und ausgeschöpft wurden, konnten sich die Zuhörer streckenweise sowohl an impressionistische, expressionistische und postmoderne, von Chromatik und Sprüngen verminderter Intervalle geprägte Sequenzen erinnert fühlen. Sehr bewusst nannte Berg es Vertigo, was für Desorientierung von körperlichen wie seelischen Gefühlen oder Zuständen steht. Ansonsten ließ auch dieses Stück spüren, wie es dem Komponisten darum zu tun ist, eine eigene Musiksprache aus dem vorhandenen Tonrepertoire zu erschaffen. Selin Akin konnte dabei ihre souveräne Beherrschung des Fagotts unter Beweis stellen.

Auf eine historisierende Sarabande et cortège Henri Dutilleux‘ unter den Vorzeichen der Moderne, gespielt von Levente Bubreg zusammen mit der herausragenden Pianistin Yumeko Fukushima als Duopartnerin, folgte das bekannte Fagottkonzert von Gioacchino Rossini, der neben allem Opernschaffen so auch dem vielseitig verwendbaren Holzblasinstrument seine Reverenz erwiesen hatte, in ausgewogenen Tempi dargestellt von Solveig Skogdal.

Dag Jensen in der Fagott-Meisterklasse mit Sara Galán (Flickr)
Gioacchino Rossini auf einem Gemälde aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts (unbekannter Maler, IT p.d.)

Der bunte und chronologisch etwas durcheinandergeratene Mix aus Werken völlig verschiedener Genres setzte sich nach der Pause fort. Wie zu Beginn sprach Dag Jensen wie beiläufig ein paar humorige Worte zum Folgenden, ohne jemals in einen Fachjargon zu verfallen. Dennoch erfuhr der „Laie“ unter den Besuchern des Konzerts so, dass das deutsche Fagott sich vom französischen durch seine tieferen Klangeigenschaften unterscheidet. Beide Varianten kamen am Abend des Rezitals zum Einsatz.

Vom französischen Komponisten André Jolivet (1905 – 1974) war sein ‚Concerto‘ von 1954 zu hören. (Mediathèque Musicale Mahler, 1930, F p.d.)

Der erst 2019 verstorbene Komponist Roger Boutry schrieb auf der Höhe seines Schaffens 1972 Interferences I, zu Gehör gebracht von Elias Schneider. Als Markenzeichen des französischen Tonschaffenden, der gleichermaßen als Dirigent und Musikpädagoge tätig war, gilt neben melodischer Transparenz und Verwendung modaler wie chromatischer Harmonik die rhythmische Komplexität in seinen Werken; besonders die häufig eingesetzten Synkopen. André Jolivets Concerto von 1954 mit seinen beiden großen, in sich zweiteiligen Sätzen wurde virtuos von Laure Thomas ausgeführt, Eugène Bozzas Récit, Sicilienne et Rondo und die ausgedehnte, 1938 geschriebene Fagottsonate Paul Hindemiths, die durchaus zur World Music aufschließen könnte, folgten. Einen gewissen letzten Höhepunkt stellte Katharina Mätzlers ausgewogene und gleichzeitig expressive Präsentation von Carl Maria von Webers bewegtem Konzert F-Dur, op. 75, aus dem Jahr 1811 dar. Benjamin Dolfin spielte zum Abschluss Marcel Bitschs Concertino von 1948; das Stück verlangte dem Interpreten einiges ab, vor allem dank seiner aberwitzig schnellen Läufe, perkussiven Klängen und voluminös-energetischen Passagen. Bemerkenswert ist auch der prononcierte Dialogcharakter des Werks, in dem das Klavier eine ebenbürtige Rolle spielt. Der Abend des 8. November leistete dank des Engagements von Dag Jensen und seinen Studenten eine gelungene Gesamtschau auf den großen Schatz an solistischer Fagottliteratur vor Allem seit der Frühromantik.