Als schön klingend kann der Ton der Tanzmeistergeige wohl kaum bezeichnet werden, doch hat eine solche, dem pädagogischen Zweck unterworfene Normvariante der Violine ihre praktischen Vorteile: Wie der Name sagt, dient sie dem Spiel in der Tanzstunde, in der Technik unterscheidet sie sich prinzipiell nicht von ihrem Mutterinstrument. Hier sei erwähnt, dass Theodor Storm in seiner Novelle Auf der Universität dem instrumental unterstützten Tanzunterricht um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner traditionsreichen Dominanz französischer Anweisungen und Repertoires ein ganzes Kapitel widmete …

Dass der Lehrzweck der länglichen Miniaturgeige heute weitgehend, wenn auch keineswegs überall aus dem Blickfeld geraten ist, liegt natürlich am modernen Equipment, das TanzlehrerInnen das ursprüngliche musikalische Ambiente zum Jive oder Wiener Walzer auf Knopfdruck liefert; im Notfall steht ja auch das Mobiltelefon mit Audiokanälen zu Diensten.

Irgendwie machen die ihrer transportablen Form nach äußerst praktischen Taschengeigen einen durchaus patenten Eindruck. Als „Klein Geig/Posche genant“ erscheint sie im zweiten Band von Michael Praetorius‘ Handbuch Syntagma musicum (1619) als Winzling unter den Geigeninstrumenten. In der Barockzeit, in der sie ausschließlich für den Tanzunterricht gebraucht wurden, verschwanden sie nach der Stunde in einer gesondert eingenähten Tasche im Rockschoß und maßen lediglich 35 bis 40 cm Länge.

Ursprünglich verfügten Tanzmeistergeigen oder Poschetten ihrer Handhabbarkeit wegen nur über drei Saiten, die im 18. Jahrhundert um eine vierte ergänzt wurden. Der Klang kann als dünn, mit mehr Vehemenz gespielt als durchdringend gekennzeichnet werden, passt also zu den schulmeisterlichen Methoden ihrer Blütezeit, in der Tanzlehrer ihren Eleven die Schrittfolgen der Menuette oder Sarabanden diktierten, und im Wechsel mit der Unterweisung aufspielten. Stockgeigen, die denselben Zweck erfüllen, ähneln Spazierstöcken und länglichen Botanisiertrommeln mehr als Violinen (in ihren sperrigeren Kästen) und wirken durchaus elegant.

Heute nutzen im weiteren Umfeld der so genannten Mittelaltermusik Folk-Bands die besondere Klangfarbe der Pochetten, unter anderem die Formation Luna Melisande.
Literatur u.a.
Hellwig, Friedemann: Hamburg and Paris: Joachim Tielke’s pochettes. In: The Galpin Society Journal. Bd. 62. 2009. S. 183 – 190, 200 – 201.
Walter Salmen: Tanz im 17. und 18. Jahrhundert (= Musikgeschichte in Bildern, Band IV,4). Leipzig 1988.