Am 20. November 1884 wies die Feuilleton-Kolumne der Evening News von Sydney auf ein bemerkenswertes Konzert des Vorabends hin. In ihm hatte Alice Charbonnet-Kellermann, die Pianistin und Leiterin einer neu begründeten Musikschule in der Phillip Street, eigene Stücke als auch ein Arrangement von Félicien Davids Desert aus Sicht des Kritikers so virtuos gespielt, dass der Kritiker sich dazu hinreißen ließ, sie als „Königin“ zu titulieren.

Für den Anfang des auch vom Publikum heftig applaudierten Konzerts war eine Bearbeitung des Krönungsmarschs aus Meyerbeers Le Prophète von Frau Charbonnet als Aufführung ihrer eigenen KlavierschülerInnen vorgesehen gewesen. Ihr eigener Myosoli Walzer wurde im gleichen Artikel vom Kolumnisten seiner feinen, eingängigen Melodie und der eigenwilligen Harmonisierung wegen besonders gewürdigt.

1901 zog sie mit ihrem Mann, einem Violinisten und ihrer Familie nach Melbourne, wo sie an der Simpson’s School Musik unterrichtete. Dort unterrichtete sie neben etlichen anderen nicht nur die später berühmte Sopranistin Nellie Melba, sondern auch die Komponistinnen Lydia Lamer und May Summerbelle, die nur neun Jahre jünger als sie selbst war und sich, offenkundig inspiriert von ihrer Dozentin vor allem dem Repertoire von Tanzmusik (für das Klavier) widmen sollte.

Alice Carbonnet-Kellermanns eigene Kompositionen folgen programmatisch ganz ihrer klassisch-romantischen Ausrichtung; sie sind einerseits nostalgischen Charakters und spiegeln zum anderen zeitgenössische Vorlieben der Zuhörer, die vor allem für die europäischen Traditionen ein offenes Ohr hatten: Neben Tänzen wie der italienischen Tarantella und Saltarella präsentierte die am Klavier selbst als Virtuosin auftretende Komponistin Ye Old English Dances, aber auch einer mexikanischen Melodie, arbeitete aber auch der Kirchenmusik zu: Hier entstand unter anderem ein Ave Maria für Stimme, Violine und Klavier oder Orgel. Ganz dem Zug der Zeit entsprechend, man denke etwa an Lumbyes Erfolge im Kopenhagener Tivoli-Park, schrieb sie 1898 einen (orchestrierten) Konzertgalopp, seinem flotteren Tempo gemäß unter dem Titel Le Train du diable.
M’appari: Fantasie über ein Thema aus Flotows Oper Martha für die linke Hand