Im Aufwind: Ballon Familienoper

Mit einer gewissen Verzögerung kann der Aufwärtstrend zum Musiktheater für Jüngere auch an deutschen Bühnen registriert werden. Ihm folgte etwa die gestrige Premiere von Pierangelo Valtinonis The Wizard of Oz (2016) nach der märchenhaften Erzählung des Amerikaners Lyman Frank Baum am Theater Erfurt, wiederholt zur familienfreundlichen Samstagsnachmittagszeit am 9. Februar 2019. Das von William Wallace Denslow originell illustrierte Buch läutete für das literarische Genre mit einem Paukenschlag das zwanzigste Jahrhundert ein, denn sie zeitigte sogleich enormen Erfolg, nicht zuletzt dank ihrer futuristischen Elemente, die um 1900 groß in Mode kamen.

Die Illustrationen William W. Denslows machten einen großen Teil des Erfolgs der Geschichte ‚Der Zauberer von Oz‘ (1900) aus der Feder L.F. Baums aus (University of Virginia Library, US p.d.).

Die Rezeption in der Tonkunst begann früh und dauert an: 1902 schrieb der Autor selbst eine musikalische Revue unter gleichem Titel; dem Broadway-Musical Wicked – Die Hexen von Oz (2003) setzte Andrew Lloyd-Webber zusammen mit Jeremy Sams 2011 mit einem Jukebox-Musical für das Londoner Westend nach, in dem er Melodien aus dem klassisch gewordenen Film aus dem Jahr 1939 adaptierte.

Komponierte bisher für alle nur denkbaren Genres vom geistlichen Chorstück bis zur Theatermusik: Dirigent und Organist Pierangelo Valtinoni (P59V, 27.3.2014, CC-Liz.).

Im Anschluss an die Uraufführung von Pierangelo Valtinonis Kinderoper-Version am Opernhaus von Zuriga ist das Theater Erfurt erst die zweite Spielstätte dieser Art, die sich des Werks angenommen hat. Sein Urheber, Jahrgang 1959, studierte einst in Bologna Orgel und Komposition, hängte ein Chorstudium mit Dirigieren in Venedig daran und nahm ein weiteres Kompositionsstudium mit Orchesterdirigieren in Padua auf. Seine große Vorliebe als Tonschöpfer gilt neben Chorwerken mit und ohne Orchester auf dem Gebiet des Musiktheaters der Märchenoper. So erschien 2006 eine erweiterte Version des Einakters Pinocchio nach Carlo Collodi, 2010 Die Schneekönigin und 2016 Il Mago di Oz.

Löwe, Blechmann, Vogelscheuche und Dorothy ringen um die Hilfe des vermeintlichen Zauberers (Lutz Edelhoff, Theater Erfurt). Die Inszenierung Philipp J. Neumanns und die Kostüme (mit Brillen) sind nicht ohne Anspielungen auf die Ausstattungen der Commedia dell’Arte im 18. Jahrhundert.

Der Hintergrund von Baums Erzählung lässt sich leicht aktualisieren: Ein im US-Bundesstaat Kansas auftretender Wirbelsturm trägt das Mädchen Dorothy aus behütetem Hause in ein fernes Land: Reminiszenzen an und Befürchtungen um heransausende Tornados seien ausdrücklich zugelassen. In der Fremde rät man ihr, sich an den Zauberer von Oz zu wenden, denn nur dieser könne ihr helfen, in die Heimat zurückzukehren. Der Magier lebt in einer Smaragdenstadt; auf der Reise dorthin lernt Dorothy eine lebende Vogelscheuche, einen Blechmann und einen Löwen kennen; gemeinsam schafft man es, die böse Hexe des Westens zu bezwingen, die sich der Truppe in den Weg stellt.

Wolfgang Kaiser singt die Partie des unglaubwürdig gewordenen Zauberers von Oz (L. Edelhoff, Theater Erfurt).

Leider entpuppt sich der große Zauberer sozusagen als Luftnummer, denn er ist lediglich ein verirrter, notgelandeter Ballonfahrer, der in der Smaragdenstadt gleichsam vergöttert wird, da er aus dem Himmel kam. Dank der Zauberschuhe der Hexe kann Dorothy wieder nach Hause gelangen und auch die drei neuen Freunde werden durch genial einfache Hilfe von ihren Leiden, der Hirn-, Herz- und Mutlosigkeit, die sie vom menschlichen – und auch tierhaften – Dasein isolieren, geheilt.

Samuel Bächli dirigierte am Premierenabend eine vor allem ihrer opulenten dramatischen Harmonik wegen atemberaubenden Oper, die aber auch sonst das große ernste Musiktheater für Erwachsene abbildete: Stellenweise fühlte man sich an Schostakowitschs symphonische und theatralische Einfälle erinnert; neben eine expressiv-spätromantische Klangwelt im Sinne Puccinis traten auch avantgardistisch anmutende, dissonierende Passagen, die ganz der Sphäre des jeweiligen Szenenabschnitts geschuldet waren. Einer der Frauenchöre zeigt, wie sehr Valtinonis Satzkunst in der geistlichen Chormusik verwurzelt ist, zu deren Repertoire er als Komponist Wesentliches beiträgt.

Die vier zunächst unfreiwilligen Freunde finden sich in einem wunderbaren Blumenwald wieder (L. Edelhoff, Theater Erfurt).

Dröhnende wuchtige Orchestereinsätze und emotional eindringliche Arien fügten sich in dieser Interpretation zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk , das vergessen ließ, dass der zugrunde liegende Stoff eigentlich vorwiegend für Kinder und Jugendliche bestimmt war.

Überragend setzte sich Daniela Gerstenmeyers Sopran in der Figur Dorothys durch, einmal mehr sekundierten nahezu ebenso stimmkräftig Siyabulela Ntlales und Juri Batukovs tiefe Register in den Rollen des futuristisch anmutenden Blechmanns alias Roboters und des Löwen dazu.

Daniela Gerstenmeyer mimt und singt überragend den Part Dorothys (L. Edelhoff).

Die Kinder- und Frauenchöre und die beiden Hexen des Ostens wie des Westens, verkörpert durch Margrethe Fredheim und Katja Bildt, überzeugten gleichermaßen, während die Inszenierung durch multimediale Effekte, wie sie erst das digitale Zeitalter möglich macht, (zumindest beim älteren Publikum) für Aha-Erlebnisse sorgte.

Der abgedunkelte Bühnenraum zeigt unbewegte wie bewegte Schleifensymbolik (L. Edelhoff, Theater Erfurt).

 

Ein wenig mehr realistische Requisiten hätten hier und da gut getan, etwa die Bühnenpräsenz eines echten Ballons, mit dem Dorothy und ihre Freunde entschweben können. Die Ausstattung durch Nicola Minssen erweist sich aber als sinnfällig vor allem wegen der fantasievollen Kostümierung und passender Symbolik: So wird der abenteuerliche Weg Dorothys mittels einer sich rotierenden Scheibe, auf der sich auch die Sängerinnen und Sänger bewegen, dargestellt. Dem korrespondieren die an DNA-Moleküle erinnernden blauen Kugeln über dem Bühnenraum und die sich drehenden Schleifen auf transparenten Schirmen mit grünem Hintergrund.

Der Zauberer von Oz – Weitere Termine:
23.2., 27.2., 8.3., 15.3.2019 jeweils 19.30 Uhr
10.3., 24.3.2019 jeweils 15.00 Uhr
25.3.2019 10 Uhr
7.4.2019 18 Uhr

Spielplan des Theaters Erfurt