Paukenschlag zur neuen Brügger Saison

Brüssels Philharmonisches Orchester geht mit seinem Chefdirigenten Stéphane Denève noch vor dem Kalenderherbstbeginn in eine neue Spieletappe, die vierzig Auftritte wiederum in den akustisch besten Sälen Belgiens und auf Nordamerikatournee umfassen wird. Den Anfang bestimmte am Samstagabend ein Programm der frühen Moderne und der Gegenwart: Neben Ralph Vaughan Williams‘ sonst eher selten gespieltem symphonischem Chorwerk Serenade to Music auf der Basis von Shakespeares Lob der Musik in seinem Schauspiel The Merchant of Venice durfte das zahlreich vertretene, überwiegend in Brügge und Umgebung beheimatete Publikum eine Uraufführung und nach der Pause Strawinskys Le roi des étoiles und dessen Le sacre du printemps erleben.

Das Philharmonische Orchester Brüssel bestreitet in der neuen Spielzeit 2018/19 (mehr als) 40 Konzerte u.a. in Brüssel, Antwerpen und Brügge sowie in den USA und Kanada (Bart Dewaele, 9.3.2013, Maison de la Radio de Flagey, OTRS, CC-Liz.).

Für die Chorpartien in Ralph Vaughan Williams‘ und Igor Strawinskys relativ knappen Orchesterwerken aus ihrer „expressionistischen“ Phase, die aufgrund der jeweils hohen Individualität freilich schwer zu bestimmen ist, stand im Concertgebouw Brugge am 15. September der Flämische Rundfunkchor auf der breitflächigen Bühne des 2002 (anlässlich der Ehrung Brügges als Kulturkapitale Europas) fertiggestellten Konzerthauses ein. Dunkel beschwörende ebenso wie federnd leichte Verspartien aus beiden Kompositionen wurden mit überzeugender Deutlichkeit und nachhaltiger Betonung der gewichtigen Worte und Passagen deklamiert.

Der französische Geiger Renaud Capuçon anlässlich des Festivals La Folle Journée in Nantes (1.2.2009, Pymouss, Wikimedia France, GNU Free Doc. Lic.)

Zwischen beiden Werken ist abgesehen von ihrer ähnlichen musikalischen Faktur kein größerer Unterschied denkbar: Shakespeares Verse fliegen leichtfüßig und mit komödiantischer Ironie selbst in den mythologischen Anspielungen dahin, in Konstantin Balmonts Gedicht vom König der sieben wie Edelsteine und Gold funkelnden Sterne, das Strawinsky in Musik goss, dominiert die in tiefe Innerlichkeit versenkte Anbetung Gottes als Schöpfer des Alls.

Guillaume Connesson, in Paris ansässiger Komponist zahlreicher Chor-, Kammermusik- und Orchesterwerke, war am 15. September im Concertgebouw Brugge mit einem seiner neuesten Werke, dem Violinkonzert ‚Les horizons perdus‘ vertreten (Benjamorris, 9.9.2008, CC-Liz.).

 

 

 

 

 

Guillaume Connesson, von dem diesjährig eine aktuelle Einspielung anderer Werke bei der Deutschen Grammophon vorliegt, lieferte den Kernbeitrag zu diesem Abend mit dem erstmals aufgeführten Violinkonzert Les horizons perdus, in dem bestimmte vorzeitliche Idealvorstellungen eines prämundialen Paradieses verhandelt werden. Darin stechen besonders die expressiven und meditativen Sätze 2 und 4 unter der Betitelung Shangri-La hervor: Hier wird ein erdachtes Zeitalter ausgemalt, in dem die Menschen nicht altern und in ewiger Glückseligkeit leben. Solist Renaud Capuçon zelebrierte die denkbar weit auseinanderliegenden vier Sätze des Konzerts mit hoher Intensität, manchen schroffen Portato- und Staccato-Riffen ebenso wie mit lyrischen Tönen im Meditation suggerierenden Schlussteil.

Anlässlich der Ernennung Brügges zur Kulturhauptstadt Europas entstand der Neubau des Concertgebouw (©-CEphoto-Uwe-Aranas, 1.7.2014).

Strawinskys Gedanke, mit seinem russischen Ballett Le sacre du printemps am 29. Mai 1913 das Pariser Publikum zu verstören und zu schockieren, was ihm ja durchaus gelang, wurde dank Denèves Interpretation gut nachvollziehbar: Die forcierte Primitivität der imaginierten Kultur einer archaischen, dennoch hominiden Urzeitgesellschaft (zum filmischen Vergleich sei hier Pasolinis Edipo Re genannt) kam in den gewaltsam hämmernden Fortissimi prägnant zum Ausdruck, ohne dass darin die Verarbeitung des Thema-Motivs untergegangen wäre, die dem absichtsvollen „Machwerk“ seinen Zusammenhang verschafft. Die Paradiese der Musik, der Allschöpfung und einer Gesellschaft in idealer Harmonie wurden im Programmrahmen damit jedenfalls scharf kontrastiert.

Auch wenn der Konzertabend im ersten Teil ein Quentchen konzentrierte Spannung vermissen ließ, so wurde das Orchester unter Stéphane Denèves Leitung durch die breitdimensionierte Darstellung den Einzelwerken mehr als gerecht.

 


Beitrag veröffentlicht

in

,

von