Bei allem Allzumenschlichen, Unduldsamen und Widersprüchlichen, das der Person Martin Luthers anhaftet, bleibt doch eine Erkenntnis des Wittenberger Reformators unumstößlich: Der Glaube bedarf der Neuformulierung im Sinne einer Anverwandlung, um für den Menschen greifbar zu bleiben. Mit der Übertragung des Alten und des Neuen Testaments ins Gegenwartsdeutsch seiner Zeit leistete der gelehrte Mönch einen bis heute fortwirkenden Beitrag zum Verstehen der christlichen Botschaft.

Semper reformandum also – das war die Botschaft von Nicholas Baines, anglikanischer Bischof der Stadt Leeds, die er aus seiner Heimat in die Erfurter Augustinerkirche, Luthers ehemalige Klostergemeinschaft, heute mitbrachte. Der Sprachvereinheitlichung des Reformators geschuldet hielt er die Predigt auf Deutsch, während zuvor das Evangelium in englischer Sprache zu hören war. Auf kirchenmusikalischer Seite waren die Augustiner-Kantorei und das Andreas-Kammerorchester unter Leitung von Dietrich Ehrenwerth mit Bachkantaten und dem Choral Verleih uns Frieden gnädiglich (EG 421) vertreten. Am Beginn stand die 1725 komponierte Kantate Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, BWV 126, aus J.S. Bachs Leipziger Zeit, während der Austeilung erklang die Kantate Es ist das Heil uns kommen her, BWV 9 aus den Jahren zwischen 1732 und 1735.

Dem Feiertag des Reformationsfestes angemessen war es Dietrich Ehrenwerth besonders daran gelegen, wegen des textlichen Gehalts jeden Takt bis aufs i-Tüpfelchen ausmusizieren zu lassen und das Metrum dabei möglichst genau zu nehmen, auch nichts zu übereilen. Die genaue Ausdeutung ließ vergessen, dass es sich dem Instrumentarium nach nicht um eine „historisch informierte“ Aufführung handelte. Das Solistentrio, nämlich die Altistin Dorothea Zimmermann, Tenor Stefan Scherpe und der Bassist Stephan Heinemann deklamierten die Arienpartien mit glasklaren Stimmen.

Die beiden Oboen, die das Gebet der ersten Arie von BWV 126 verstärken, füllten den Raum mit ihrem runden, voluminösen Ton. Darüber hinaus verlieh eine Trompete mit strahlendem Klang dem Klangbild der für den Gottesdienst bestimmten Vokalwerke festlichen Glanz. Sie halfen so vielleicht auch den wenigen Gäste aus der geladenen katholischen Nachbargemeinde der Stadt für Augenblicke über 500 Jahre Kirchenspaltung einmal hinwegzuhören. Wer ein wenig neuere Musik schätzt, dem sei zum Thema des Tages Felix Mendelssohn-Bartholdys Symphonie Nr. 5 „Reformation“ empfohlen; im Musiksender Classica sind heute um 21.55 Uhr John Eliot Gardiner und das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit dieser Symphonie in einer Aufzeichnung von 2014 zu erleben.
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