Als sich um die Jahre des Hambacher Fests und der Proteste gegen die Fürstenstaaten studierende Literaten mit romantischem Lebensgefühl dem Rhein zuwandten, teilte bald auch Felix Mendelssohn-Bartholdy ihre Neigung: Er wählte den großen mitteleuropäischen Strom zur Befahrung für seine Hochzeitsreise. Die Mischung aus vermuteten Gefahren, die mit Strudeln, unberechenbarer Strömung und Felsen zusammenhingen, der außerordentlichen Vielzahl von Burgen, Ruinen und dem Weinanbau beflügelte die Poesie Clemens Brentanos und Heinrich Heines oder die Malkunst von Carl Gustav Carus. Gerade die Wildheit des noch unbegradigten mittleren Rheintals zwischen Bingen und Koblenz wurde nun von Künstlern jeglicher Couleur als anziehend empfunden. Bald zogen englische Reisende, die die Umgebung des Flusses als Urlaubsdomizil wählten, nach: William Turner etwa fertigte vor Ort ein Skizzenbuch zu den Rheinlandschaften an.

Robert Schumann, der bekanntlich lange Jahre seines Lebens in Düsseldorf verbrachte, widmete dem Rhein seine 3. Symphonie. Das Schaukeln der Boote und Schiffe auf dem Wasser ist im Scherzo mit Händen zu greifen, der Einsatz der Hörner verweist auf die Jagd und das Signalblasen vom Burgturm. Dabei hatte der Rhein in einigen seiner Abschnitte bereits im Altertum als idyllische Landschaft gegolten; der römische Konsul Decimus Ausonius, der um etwa 380 n. Chr. weiter südlich, nämlich in Trier stationiert war, schrieb ein Lehrgedicht über die Mosel und pries den Rhein als ihren „über die Maßen schönen“ größeren Bruder. Hierbei handelte es sich allerdings um singuläre Erwähnungen; ansonsten wurde dem Strom bis zum Zeitalter der Aufklärung keine sonderliche Aufmerksamkeit zuteil.

Wenn man von den Vertonungen des Lorelei-Gedichts Heinrich Heines absieht, sind dezidierte programmmusikalische Beiträge im 19. Jahrhundert noch rar. Um 1840 kam stattdessen ein als Rheinländer apostrophierter Paartanz auf, der gewöhnlich in einem eher gemächlichen 2/4-Takt ausgeführt wird; zu seinen Eigenheiten gehört ein Seitwärtssprung sowie walzerähnliche Drehungen in Triolen. Tatsächlich aber nimmt das magisch wirkende Lorelei-Motiv den größten Raum im Schaffen europäischer Komponisten, die sich auf den Mittelrhein bezogen, ein. Leider blieb Mendelssohns Projekt, eine Oper zum Sujet aus dem Jahr 1847, unvollendet.

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts meldeten sich außer Max Bruch mit gewichtigen fertiggestellten Bühnendramen aus dem Ausland der irischstämmige Brite William Vincent Wallace (1859) und der Hamburger Wahlfinne Fredrik Pacius (1887) zu Wort. Pacius hatte für seine Vertonung das seinerzeit hochpopuläre Gedicht des chauvinistischen Dichters Emmanuel Geibel gewählt, dem dieser 1861 einen eigenen Lyrikband mit dem Titel Die Loreley widmete. Eine gewisse Parallele ist zwischen Clemens Brentano, der die Rheinsage verarbeitete und Vincent Wallace erkennbar: Beide konvertierten zum Katholizismus, ersterer, weil er damit seiner romantischen „Sendung“ besser zu entsprechen gedachte, der zweite wegen einer Liebesheirat.
Wallace‘ Oper erschien unter der anglisierten Überschrift Lurline nach einem Libretto von Edward Fitzball, der für seine Schauerdramen mit Tendenz zum Horriblen berüchtigt war. Als azione romantica bezeichnete der in Lucca geborene Alfredo Catalani seine 1890 abgeschlossene Oper Loreley. Die Faszination des Motivs quer durchs 19. Jahrhundert verdeckt den Umstand, dass es Clemens Brentano war, der in seinem Roman Godwi (1800/01) den Mythos von der Nymphe Echo sowie den Sirenenmythos aus Homers Odyssee, möglicherweise kombiniert mit anderen literarischen Überlieferungen aus der frühen Neuzeit, auf eine fiktive Nixe Lore Lay im Rhein übertragen, wenn nicht die Figur überhaupt erfunden hatte. Erfindung oder Überlieferung: Für die anhaltende Beliebtheit der schlangenlinienförmig verlaufenden Flussarme von Boppard bis Bingen spricht – wenn man einmal von der Unbill aktueller Hochwasserprobleme absieht – die Tatsache, dass in der Hauptsaison Passagierschiffe je nach Tageszeit im 10-Minuten-Takt stromauf- wie stromabwärts auf dem „Vater“ der europäischen Flüsse dahingleiten …
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