Island bis zur Avantgarde

Bedingt auch durch die Dominanz der norwegischen, dann der dänischen Kulturpolitik auf Island konnte sich hier eine idiomatische musikalische Sprache erst spät entfalten. Bis ins 19. Jahrhundert wurde sie von Kirchenmusikern getragen, daneben von Laien. Dementsprechend blieb das Repertoire begrenzt auf Volkslieder, Choräle und Chorstücke. Auch ein akademisches Musikstudium wurde erst viel später ermöglicht. Bis dahin studierten Begabte an Hochschulen in Frankreich, Deutschland oder in den USA. Dies gilt für einen der ersten professionellen Komponisten außerhalb der reinen Kirchenmusik, nämlich Sveinbjörn Sveinbjörnsson (1847 – 1927), zwei Generationen nach ihm für Páll Isólfsson (1893 – 1974) und für den heute auf dem europäischen Kontinent wie international bekanntesten isländischen Tonsetzer Jón Leifs (1899 – 1968) von Sólheimar.

Beonders der Strokkur Geysir dürfte den isländischen Komponisten Jón Leifs zu seiner Orchesterkomposition inspiriert haben (Chris, Falmouth, UK; 15.7.2003).
Beonders der Strokkur Geysir dürfte den isländischen Komponisten Jón Leifs zu seiner Orchesterkomposition inspiriert haben (Chris, Falmouth, UK; 15.7.2003).

Leifs Popularität geht in seiner Heimat nicht zuletzt auf die Gründung des isländischen Komponistenverbandes kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Er organisierte die erste Musikausstellung Islands und sorgte dafür, dass Island in den Nordischen Komponistenrat und in die internationale Autorenrechtsunion aufgenommen wurde. Zu seinen kulturpolitischen Mitstreitern und Inspirationsgebern gehörten auch die Schriftsteller  Gunnar Gunnarsson und Halldor Laxness. Seine Forschungen zur isländischen Volksmusik wurden ergänzt durch Kompositionen zu den besonderen Naturphänomenen und Saga-Überlieferungen des Inselstaats.

Das Orchesterwerk Geysir entstand neben Hekla aber erst 1961, mit Minni Islands hatte er lange zuvor eine „isländische Ouvertüre“ für gemischten Chor und Orchester geschrieben. Die Komposition des dreiteiligen Oratorienzyklus Edda zog sich von 1939 bis 1966 hin und blieb unabgeschlossen. Für den Vulkanausbruch von Hekla – jüngste Erinnerungen der Einheimischen an solche Naturschauspiele sind nicht die besten – forderte der Komponist den Einsatz von Ambossen, Eisenketten, großen und kleinen Steinen, Sirenen, großen Glocken, großen Holzhämmern, großen und kleinen Kanonen. Auch die mythische Handlung in der SagaSymphonie (1941) gibt zusätzlich ungewöhnliche Instrumente wie Schilder aus Eisen, Holz und Leder vor. Nicht zuletzt wegen dieser Besonderheiten erlebte zu Lebzeiten kaum eines seiner im skandinavischen Raum bedeutenden Werke je eine Aufführung.

Jón Leifs (1899 - 1968) sorgte auch mit seinen kulturpolitischen Maßnahmen für den Aufstieg Islands zu einem den anderen nordischen Ländern ebenbürtigen Musik- und Literaturprofil (1934, Willem van de Poll, Nationaal Arkief).
Jón Leifs (1899 – 1968) sorgte auch mit seinen kulturpolitischen Maßnahmen für den Aufstieg Islands zu einem den anderen nordischen Ländern ebenbürtigen Musik- und Literaturprofil (1934, Willem van de Poll, Nationaal Arkief).

Mit Atli Ingólfsson zählt heute Hildigunnur Runarsdóttir zur weltweit gefragten neuen Avantgarde des Landes. Beide genossen bereits den Vorzug, ein Instrument oder Singen professionell zu erlernen (ersterer die Gitarre und Harmonielehre in Njardvik) und am Konservatorium von Reykjavík Theorie und Komposition studieren zu können. Atli Ingólfsson hielt sich zur Ergänzung seiner Ausbildung auch in Italien auf und studierte später bei Gérard Grisey sowie in einem Sommerkurs am IRCAM-Institut, das ihm auch einen Kompositionsauftrag erteilte. Es folgten weitere aus Mailand, Trient und … Tokyo. Bis heute faszinieren ihn die Aspekte von Rhythmus und Metrik in der Prosodie, in seinem 1. Streichquartett, einem der zuletzt komponierten Werke, untersucht er die Berührungspunkte von Stimmung, Harmonie und Rhythmus.

An der Musikhochschule von Reykjavik - hier vom Turm der Hallgrímskirkja aus gesehen - studierte die jüngere isländische Komponistengeneration, unter anderem Hildigunnur Runnarsdóttir und Atli Ingólfsson (Andreas Tille, 4.2.2003).
An der Musikhochschule von Reykjavík – hier vom Turm der Hallgrímskirkja aus gesehen – studierte die jüngere isländische Komponistengeneration, unter anderem Hildigunnur Runarsdóttir und Atli Ingólfsson (Andreas Tille, 4.2.2003).

Hildigunnur Runarsdóttir blieb bislang enger mit dem nordeuropäischen Raum verbunden. Nach weiteren Studien in Hamburg bei Günther Friedrichs vervollkommnete sie ihre Grundlagen als eine der ersten professionellen Komponistinnen Islands bei Svend Hvidfelt in Kopenhagen. Als Sängerin wirkte sie in einer größeren Anzahl von Chören auf Island und in Dänemark mit. In ihren bisherigen Werken überwiegen daher auch die polyvokalen Stücke: Drei Hymnen für Chor und Orgel (1996), Manu visúr für Chor, Orgel und Perkussion (2004) oder die Vidalíns Messe für Chor, zwei Sängersolisten und Kammerorchester (2006). Doch auch für weltliche Musik begeistert sie sich gelegentlich: Momentan entsteht ihre erste Symphonie, nachdem sie schon 1989 Myrkvi für Orchester schrieb und anlässlich der Jahrtausendwende (?) 2000 einen Dance Cocktail kreierte.

 

 

 

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert