Bevor er die Gelegenheit ergreifen konnte, bei Jules Massenet und Gabriel Fauré am Pariser Konservatorium sein Kompositionsstudium fortzusetzen, hatte der 1881 im rumänischen Dorf Liveni Vîrnav geborene Violinist, der bereits als fünfjähriges Kind komponierte, im Alter von sieben in Wien zu studieren begonnen. Das Poème roumain des Achtjährigen begründete schon durch die einzigartige Verbindung von rumänischer Folklore mit der westeuropäischen Sinfonietradition seine spätere musikalische „Grammatik“, die sich harmonisch durchaus auf Augenhöhe zu den neuen Herausforderungen der Zeit unter Einschluss von Polytonalität entwickelte.

Schon die 1901 entstandenen Rumänischen Rhapsodien machten ihn vielerorts in ganz Europa bekannt, insbesondere das erste Stück zog zahlreiche Aufführungen nach sich. Der Rhapsodie eignete die instrumentale Klanggebung aus dem Schatz der gesungenen Volksmusik und demjenigen der für Rumänien charakteristischen Panflöte und der Laute. Enescu, der 1955 in Paris verstarb, war der Überzeugung, der Volksmelodie eigne eine natürliche Harmonie, während künstlich hinzuerfundene ihr Wesen und die Semantik ihrer Sprache trübten. Eine solche Einschätzung klingt zwar konservativ, verbalisiert aber letztlich nur, was viele Tonkünstler im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bewusst oder weniger bewusst praktizierten: Albeniz oder Granados, Bartók oder Copland – denn sie nahmen ihren Ausgang von den nationalromantischen Schulen, für die ländliche Folkloremelodien die Basis ihres Schaffens bildeten und in ihren Werken immer wieder zu erkennen sind.

Enescus andere Seite ist die eines in der westeuropäischen klassischen Formgebung äußerst versierten Komponisten. Dies gilt einmal für die Instrumentation, denn er schrieb sowohl im engeren Sinn sinfonische Musik als auch Kammermusik für diverse, ebenso gelegentlich aus reinen Bläserpartien bestehende Besetzungen wie auch für Streichinstrumente mit Klavier, etwa sein Bläserdezett D-Dur von 1906 und das Klavierquintett a-Moll aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Außerdem bemerkenswert ist das Allegro de concert (1940) für Harfe und das immer wieder umgearbeitete Vokalwerk Vox maris („Stimme des Meeres“, 1929-51), bezeichnet als sinfonische Dichtung für Sopran, Tenor, Chor und Orchester. Daneben entstanden etliche Klaviersolowerke, etwa die Suite Nr. 1 g-Moll dans le style ancien op. 3 von 1897 und die musikalische Widmung Pièce sur le nom de Fauré (1922). Der Gattung Oper arbeitete er mit lediglich einem, wenn auch dem Libretto nach schwerwiegenden Werk zu: Sein Oedipe, benannt als Lyrische Tragödie wurde 1936 fünf Jahre nach dem vorläufig letzten Federstrich an der Partitur uraufgeführt.

Interessant nimmt sich die Faktur der zwischen 1891 und 1894 geschriebenen Orchestersuiten des Heranwachsenden aus, etwa der zweiten in C-Dur. Sie spiegeln das Handwerk der Barockzeit, sind aber dem Melodienvorrat nach der heimatlichen Folklore – in eher folkloristischem Sinn – verplichtet. Eine Ausnahme bildet das im Stil des frühen 18. Jahrhunderts fugiert behandelte Motiv der Ouvertüre, die ganz der Kontrapunktik Telemanns und Bachs nachempfunden ist. Und dennoch ist auch hier nirgendwo ein Kopist oder Epigone am Werk gewesen, die Handschrift so individuell wie möglich, neben aller technischen Finesse, die spätromantischem Empfinden ebenso entspringt wie einer Versiertheit in der Formstruktur der alten Tänze, die der jugendliche George Enescu geradezu aufgesogen haben muss …
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