Voluminöser Flügelschlag zur Premiere

Der Einstieg von Joana Mallwitz als neuer Generalmusikdirektorin in Erfurt konnte in musikalischer Hinsicht nicht glücklicher gelungen sein als zur Leitung dieser abendfüllenden Samstagspremiere mit Giacomo Puccinis späterem Lieblingskind Madama Butterfly, einer Erfurter Neuinszenierung. Ihre Konzentration auf jedes Detail der Partitur vermittelte sich dem Philharmonischen Orchester in maximaler Besetzung unmittelbar, noch in jeder längeren Atempause blieb der exakte Taktschlag präsent, Ruhepunkte gab es keine – und dies ganz dem Gestus der spätromantischen und gleichzeitig naturalistisch ausgerichteten musikalischen Faktur entsprechend. Der Sinn für die harmonisch komplexe, in den Ouvertürenteilen kontrapunktisch durchgearbeitete Struktur wurde dem von Puccini zwischen 1904 und 1906 mehrfach umgearbeiteten Werk auch dynamisch gerecht, wenn Joana Mallwitz den großen Klangkörper namentlich in den hochdramatischen Passagen bis an die Grenze strapazierte.

Die traditionellen Kostüme der "Geishas" ergänzten die moderne Neuinszenierung von Puccinis Madama Butterfly (Lutz Edelhoff).
Die traditionellen Kostüme der „Geishas“ ergänzten die moderne Neuinszenierung von Puccinis Madama Butterfly (Lutz Edelhoff).

Dem voluminösen Flügelschlag des tragikschweren „Schmetterlings“ sekundierten die Sänger bravourös: Wiederum zeigte sich das auf internationalem Parkett über jeden Zweifel erhabene Duo Ilia Papandreou als Cio-Cio-San und Richard Carlucci als Marineleutnant Pinkerton stimmlich von seiner besten Seite. Brillant und ein Höhepunkt des Abends vor allem das Spiel der schwierigen Vermittlerpartie von Konsul Sharpless durch Kartal Karagedik: Der in Izmir und in Italien ausgebildete Sänger, erst seit der Spielzeit 2013 am Theater Erfurt, hätte mit dieser Darstellung ohne weiteres ebenso in einer großen Filmrolle überzeugt … Die japanischen Kostüme berückten in der überwiegend modernen Inszenierung ebenso wie das Lichtspiel auf der Meeresfolie, das Bühnenbild mit den Felsen im Mittelgrund wirkte außerordentlich plastisch.

Ilia Papandreou als Cio-Cio-San mit Kartal Karagedik und Robert Wörle in der Rolle Goros (Lutz Edelhoff).
Ilia Papandreou als Cio-Cio-San (3. von links) mit Kartal Karagedik (1. von links) als Konsul und Richard Carlucci in der Rolle Pinkertons (Lutz Edelhoff)

Seinem Verständnis der „unabänderlichen Identität“ seiner Figuren, ein Grundzug des literarischen Naturalismus ebenso wie des Verismo, entsprach Regisseur Matthew Ferraro – erstmals als Gast am Theater Erfurt – unter anderem dadurch, dass er in beiden Akten das Bühnenbild als Karussell rotieren ließ. Er unterstrich damit die fatalistische Kreisstruktur des Plots: Die Figuren können sich ihrer Vorbestimmtheit durch kulturelle, religiöse und gesellschaftliche Muster bei allem Drang zur persönlichen Freiheit  letztlich nicht entziehen, sondern bleiben im Käfig übermächtiger Traditionen und Gender-Rollen gefangen – wie Madama Butterfly in der amerikanischen Villa Pinkertons, der sie in Missachtung seines Hochzeitsgelübdes einfach verlässt. Sicher wäre hier auch eine andere Lösung möglich gewesen, um diese stimmige Interpretation des Librettos zu versinnbildlichen, denn eine gewisse Abwechslung im Bühnenbild zum zweiten Vorhang hätte der Inszenierung keinen Schaden angetan. In Erinnerung bleibt insgesamt ein grandioser Premierenabend.

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