Von Julie Pinel wissen wir nur, dass sie aus einer Familie von Hoflautenisten kam, die etwa seit 1680 dem Adelsanwesen Soubise gedient hatte. Es war wohl diese Musikerin, die in einer Sammlung mit Werken des im Frühbarock komponierenden Lautenspielers Robert Ballard 1710 unter dem Namen „Mlle Pinet la Fille“ eine Arie veröffentlichte. Wohl, weil die Hürde für Frauen höher lag, konnte sie ab Dezember 1736 nur durch ein acht Jahre festgelegtes Privileg erwirken, dass sie Kammermusik mit und ohne Singstimmen veröffentlichen durfte.

Pinel war äußerst produktiv, legte Ende des Jahres, in dem sie das Privileg erhalten hatte, ein Arienbuch vor und im Jahr darauf, 1737, erschien Nouveau recueil d’airs sérieux et à boire für ein oder zwei Diskantstimmen, deren Hintergrund eine pastorale Szenerie bildete und wie eine kleine Kantate mit instrumentaler Begleitung angelegt war. Die Widmung galt wohl Charles de Rohan, dem Mäzen ihrer Musikerfamilie. Von Julie Pinel nun war am Freitag, 31. Oktober 2025, in der Kirche St. Sylvester, in unmittelbarer Nähe zum Münchner Englischen Garten, ihr Lied Rossignol, vous chantez les douceurs du printemps aus eben dieser Veröffentlichung zu hören.

Die bei Christine Schornsheim an der Musikhochschule München graduierte Cembalistin Veronika Sazonova aus der Ukraine sekundierte zusammen mit der Violinistin Valeriya Kustitska der Sängerin Jasmin Binde, die mit einem voluminösen Sopran die noch im Barock und Rokoko beliebten, dem Frühling zugedachten Verse vortrug. Zusammen mit der Traversflötistin Lin Ling bilden die Musikerinnen das Barockensemble Les Fleurs du Bien, das sich zu dem Konzert am Freitagabend ganz der Musik von Komponistinnen um 1700 verschrieben hatte. Den Anfang machte ebenso komplexe wie melodisch einfallsreiche Sonate Nr. 3 in D-Dur von Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre (1665 – 1729), bei der die Ecksätze keine Tempobezeichnungen tragen.

Das Kammermusikensemble ist nicht nur diesem besonderen Repertoire verpflichtet, sondern orientiert sich dank seiner Gründerin und Leiterin Veronika Sazonova an der aktuellen historischen Aufführungspraxis Alter Musik. So spielte Valeriya Kustitska mit schwebender Leichtigkeit die ausgedehnten schwierigen Parts der vorgestellten Werke von Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre, Mrs Philarmonica, Julie Pinel, Anna Amalia von Preussen und Maria Antonia Walpurgis von Bayern auf einer Geige in Alter Mensur.
Wer genau sich hinter dem ominösen Namen Mrs. Philarmonica verbarg, wissen wir bis heute nicht. Es handelte sich wohl dem Titel nach um eine verheiratete Frau, die sich nicht zu erkennen geben wollte oder es wegen der ohnehin unterprivilegierten Position einer komponierenden Frau vorzog, unter Pseudonym zu firmieren. Jedenfalls verraten ihre zwölf viersätzigen Sonaten eine gründliche Schulung und sind in einem teils virtuosen kontrapunktischen Stil mit interessanter, auch überraschender harmonischer Entwicklung durchgeführt. Von ihr war die Sonate Nr. 3, geschrieben um 1715, mit obligatem Cello, Violine und Cembalo zu hören, bestehend aus den vier Sätzen Largo – Vivace – Lento und Tempo giusto. Ein langsamer Satz zu Beginn verweist dabei auf eine gewisse Ausrichtung an der Sonata da chiesa des 17. Jahrhunderts wie sie Arcangelo Corelli pflegte.

Ebenso profiliert, wenn auch bereits mehr an einer neueren, zur Homophonie tendierenden Ausrichtung im Spätbarock orientiert, ist die Komposition von Prinzessin Anna Amalie von Preussen, von der die Trio-Sonate D-Dur zu Gehör gebracht wurde. Die berückend melodiöse Arie Da me ti dividi der Maria Antonia Walpurgis von Bayern (1724 – 1780) aus ihrer großen Oper Talestri, Regina delle Amazzoni, in der die Selbstbehauptung einer Frau im Vordergrund des Geschehens steht, bildete den vorläufigen Abschluss des Konzerts. Ein publikumsfreundlicher Einfall war es bei der Zugabe an das begeisterte Publikum, dass bei dem anschließenden „schmissigen“ englischen Ayre aus dem 18. Jahrhundert die Sängerin selbst in den Zwischenpassagen ganz dem Namen des Ensembles Les Fleurs du bien sekundierend Rosen verschiedener Farben an einzelne Frauen aus dem Publikum verteilte.
