Orchestration als großes Plus

Im Falle der hier vorzustellenden ukrainischen Komponistin, die gerne auch live mit solistischem Stand-Up-Tonstudio zu Festivals auftritt, sollte man sich von den dezidiert an die avantgardistischen Errungenschaften des elektronisch basierten IRCAM-Instituts von Paris oder experimentellen Kreationen der Darmstädter Internationalen Tage Neuer Musik anknüpfenden Poly- und Clustertonalität nicht abschrecken lassen. Zunächst ist man als Zuhörer gut beraten, der Dramaturgie der häufig elektroakustischen Stücke zu folgen, bevor man sich mit dem nicht eben eingängigen harmonischen Aufbau ihrer Kompositionen beschäftigt.

Alla Zagaykevych auf dem 5. Internationalen Odessa Filmfestival: Sie ist selbst als Filmmusikkomponistin tätig. (Andrij Makukha, 16.7.2014, CC-Liz.)

Zagaikevych, die aus der größeren westukrainischen Stadt Khmelnytskyi kam, studierte in Kiew bei Yuri Ischenko Komposition und Orchestration. An letzteres Fach anknüpfend entstanden in ihrer Werkstatt auch zahlreiche Werke für größere symphonische Ensembles, beispielsweise 1993 ein symphonisches Intermezzo, 1995 ein Klavierkonzert mit dem ironiegeladenen Titel Musique aveugle („Blinde Musik“), 2007 ein Cellokonzert. Die Mehrheit ihres bisher veröffentlichten und aufgeführten Werks konzentriert sich aber auf mehrfach instrumental besetzte Kammermusik, wofür selbstverständlich auch profunde Kenntnisse in der Orchestration und nicht minder Fingerspitzengefühl bei der Stimmbesetzung und in der konkreten Arbeit als Dirigentin bei der Einstudierung erforderlich sind.

Vor studentischem Publikum mit Performance (19.4.2015, A1, CC-Liz.)

Hierzu trug Alla Zagaikevych unter vielem anderen mit Heroneya (2002) für Violine, Cello, Fagott, Klavier und voreingespielte elektronische Musik bei. 2005 beschäftigte sie mit besonderem Fokus auf die Möglichkeiten der einzelnen Instrumente Air mechanics für Flöte, Klarinette, Perkussion, Klavier, Violine und Cello. Auch asiatische Instrumente wie sheng und erhu verwendete sie zusammen mit elektronischem Equipment in GO (2009). Wie eine Streichersymphonie mit Solisten wirkt Cantos von 2010 mit drei integrierten Soli einer Cellostimme in einer Formation mit 15 Streichinstrumenten.

Das Stück ‚Transparency‘ wurde für die Besetzung einer Violine mit Elektroakustik komponiert (2006, MP3, 41nkU4Nll7L._UX358_FMwebp_QL85)

Der ständige Wechsel in ihrer Werkbiographie zwischen „mechanisch“ agierenden Ensembles und Kammermusik mit elektroakustischer Zuspielung weiterer Stimmen zeigt, dass beidem, ihrer eingehenden Erfahrung mit Elektronik während des Studiums und Orchestration sowie Instrumentation auf der anderen Seite, beinahe parallel zuzuarbeiten bemüht war und ist. Außer ihrem Agieren als DJ ihrer eigenen, auch von Spontaneität belebten Performance mit dem Equipment organisiert sie elektroakustische Projekte, ist als Musikwissenschaftlerin tätig und fungierte auf ganz anderem Feld, nämlich als Mitglied der Folkloregruppe Drevo. Während ihrer Tätigkeit als Dozentin an der Nationalen ukrainischen Musikakademie in Kiew begründete sie dort das elektronische Musikstudio. Neben einer Kammeroper und Multimedia-Installationen schuf sie auch immer wieder den Sound für Filmproduktionen. Ihre ausgeprägte Fantasie ließ sie thematisch in der Regel völlig verschiedene und voneinander unabhängige neue Projekte entwerfen und realisieren.

Anlässlich eines elektroakustischen Konzerts während eines Festivals mit Marek Coloniwski (li.) und Panayiotis Kokoras (re.) (A1, 8.4.2017, CC-Liz.)

Literatur u.a.

Leonie Reineke: Vergangenheit konservieren, Zukunft entwerfen: Elektroakustische Musik in der Ukraine von 1964 bis heute. In: Neue Zeitschrift für Musik. Bd. 179. 2018. S. 26-29.

Alla Zagaykevych: Suche nach einer eigenen Sprache: Hundert Jahre elektroakustische Musik in der Ukraine. [übersetzt von Dmitro Myeshkov]. In: Musik-Texte. Zeitschrift für Neue Musik. Bd. 148. 2016. S. 72-76.


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