Wohl schon lange vor ihrem zehnten Geburtstag begann das aus Caracas stammende Wunderkind zu komponieren und trug seine Stücke selbst vor, zu denen Walzer, Polkas und Scherzi, Fantasien, Capriccios und nicht zuletzt konzertante Etüden gehörten: Bemerkenswert ist in Teresa Carreños Klavierwerk insgesamt der überwiegend heitere, frohgestimmte Charakter, was auch die Wahl tänzerischer Formen illustrieren mag – und kurios der Titel La fausse note für einen ihrer Walzer mit einer repetierten Dissonanz als musikalischem Spaß.


Als jüngste Pianistin ihrer Epoche trat sie bereits mit neun Jahren in der New Yorker Irving Hall auf und gab Klavierkonzerte zusammen mit dem Boston Philharmonic Society Orchestra, spielte vor Präsident Abraham Lincoln im Weißen Haus. Zu einer Zeit also, als Schiffreisen in aller Regel noch nicht so komfortabel waren wie heute, reiste sie mehrfach zu ihren Einsatzorten, gefeierte Musikerin bereits nach dem US-Debüt. Dazu gehörten bald auch europäische Länder als Ziele, Skandinavien ohnehin und deutlich weiter entfernt, Australien.
Gioacchino Rossini und Franz Liszt hoben nach dem Anhören ihres Klavierspiels einhellig ihre technische Kunstfertigkeit und das überragende Talent im Ganzen hervor; auch Edvard Grieg schätzte sie für ihre instrumentale Fähigkeit. Den Titel der größten Pianistin – vor der Wende zum 20. Jahrhundert – erhielt sie dank ihrer Auftritte in Berlin. Mit Liszt scheint sie in den erfolgreichen Jahrzehnten und zu dessen Lebzeiten stärker verbunden gewesen zu sein, denn sie wirkte auch nach dessen Tod an der Herausgabe seines Klavierwerks mit. Dabei dürfte dem Gros des Hörerpublikums weniger bekannt gewesen sein, dass sie in Boston im Nachgang zu ihrem Klavierstudium bei Louis Gottschalk zu Caracas sowie bei Artur Rubinstein in New York Gesang studiert hatte und ebenso als Opernsängerin auftrat. Ihre spätere Bezeichnung als „Walküre des Klaviers“ mag verdeutlicht haben, dass sie sowohl dynamisch, als auch mit emotionalem Ausdruck, klangvoll und dennoch nuanciert zu spielen vermochte.


Eher als Ausnahmeprodukte ihres Schaffens entstanden einzelne Werke für andere Besetzungen, ein Streichquartett in h-Moll etwa, das 1895 geschrieben wurde und ihren Sinn für leidenschaftlich-dramatische Gestaltung und eine gleichzeitige farbige melodische Struktur aufweist. Simon Bolívar war ihr eher als Gebrauchsmusik entstandener Chorhymnus Entiéndase 1883 gewidmet, was ebenso für das drei Jahre später komponierte Chorwerk Himno a el ilustre americano gilt. Für Orchester komponierte sie nur wenig, etwa Petite Danse Tsigane und eine kontrapunktisch ausgefeilte, an melodischen Einfällen reiche Serenade für Streicher (1895), denn sie war häufig auf Konzertreisen und lebte mit ihrer ersten, zweiten und dritten Familie mehrere Jahre im Ausland, unter anderem auch in Berlin, wo sie eine Zeitlang als Klavierpädagogin wirkte. Populär ist bis heute die Einspielung ihres eigenen Kleinen Walzers Mi Teresita. Die Aufnahme auf dem Welte Mignon Piano verdeutlicht präsent ihre ganz persönliche Kunst der dynamischen Abstufung selbst innerhalb einzelner Phrasen und die energisch zupackende Steigerung ebenso wie die spierlerisch-musikantische Seite ihres Spiels. Es ist zu hoffen, dass dank Digitalität ihr von melodischen Einfällen und dramaturgisch komplexer Harmonik bestimmtes Gesamtschaffen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in naher Zukunft größere Beachtung finden wird. Zu ihrer Ehre wurde das von einer außergewöhnlichen modernen Architektur zeugende Teatro Teresa Carreño erbaut.
Literatur u.a.
Kiras, Anna E.: The life and music of Teresa Carreño (1853-1917): a guide to research. Philadelphia 2019.