
Auf Tonträger gab es zuletzt eine neue Aufnahme der melodiösen wie harmonisch berückenden Orchesterwerke einer hochbegabten, aber nach der Wende zum 20. Jahrhundert fast vergessenen Komponistin mit irischen Wurzeln: Augusta Holmès, geboren in Paris als Einwandererkind. Ihre Vokalmusik, die erhalten ist und ebenso die vier bedeutenden Opern, die sie zwischen 1871 und 1895 schrieb, sind weiterer Aufnahmen würdig. Man darf ebenso hoffen, dass es bald auch Einspielungen auf audiovisuellen Medien geben wird.

Dafür wird denn auch ein Beitrag gesorgt haben, der kürzlich in einer wichtigen deutschen Zeitschrift für klassische Musik erschien und in dem die nunmehr zweite Einspielung von Holmès‘ programmatischer Orchestermusik besprochen wurde. Es handelt sich um musikdramatische Interpretationen erzählender Literatur und Malerei nach Sujets mit nationaler Einfärbung, die in Europa seinerzeit populär waren, auch wenn oder gerade während sie die Mittelalterrezeption des Historismus spiegeln.
Dazu zählen Roland furieux (1875/76) nach der Dichtung von Ariost, Lutèce (1877), das erwartungsgemäß patriotisch bedingte symphonische Poem Irlande (1882), die sinfonische Dichtung Pologne (1883), die auf die enthusiastische Bewunderung Polens durch viele Europäer angesichts der Aufstände gegen Besatzungsmächte und alten Adel zurückgeht, La nuit et l’amour, eigentlich eine orchestrale Ode mit dem Untertitel Ludus pro patria (1888), und die Suite Au pays bleu (1890) neben etlichen anderen, überwiegend auf literarischer Rezeption beruhenden Tondichtungen.
Augusta Holmès Opern warten nun auch darauf, sich an europäischen Musiktheatern zu etablieren so wie sie es in Frankreich an der Schwelle zum 20. Jahrhundert auch bereits vermocht hatten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass das erste poème musicale für die Bühne aus ihrer Hand, Astarté (1871) im selben Jahr abgeschlossen wurde, als sich die Irlandstämmige in Frankreich einbürgern ließ; hatte sie bis dahin um ihre kulturelle Identität gerungen? Die ebenfalls konventionellerweise auf einem antiken Sujet fußende einaktige Oper Héro et Leandre folgte zwischen 1874 und 1875. Ebenso wie diese ersten Bühnenwerke blieb jedoch die kurz danach entstandene Oper Lancelot du lac (1875) unveröffentlicht.

Zwiespältig aufgenommen wurde an der Pariser Oper 1895 La montagne noire, ein größeres und an prägnant harmonisierten Melodien reiches Musikdrama, das den Versuch der militärischen Okkupation Montenegros durch die Türken im 17. Jahrhundert zum Gegenstand hat; Holmès verfasste zu dieser Oper, von der alle Bühnenbilder erhalten sind, das Libretto selbst. Die Oper fand erneut Aufmerksamkeit und zwar in Deutschland, wo sie 2024 am Theater Dortmund gewissermaßen wiedererweckt wurde. Dafür war die teils restaurative Erstellung einer historisch-kritischen Ausgabe erforderlich, denn zunächst schienen der dritte und vierte Akt verloren, die aber beide durch die Doktorandin Nicole Strohmann wieder aufgefunden werden konnten.