Kuriose Kleinstaaterei

Blickt man in die europäische Musikgeschichte zurück, so war es nicht gerade unüblich, Frauenrollen durch Männer höherer Stimmlage zu ersetzen. An dieses Rezept hielt man sich in der neuen Inszenierung von Jacques Offenbachs Bouffe La Grande-Duchesse de Gérolstein am Münchner Gärtnerplatztheater unter der Regie von Josef E. Köpplinger, dem Choreographen Adam Cooper und dem Dramaturgen Michael Alexander Rinz.

Jacques Offenbach vor 1880: souveräner Geist der musikalischen Komödie (Félix Nadar, F p.d.)

Die Hauptrolle, möglichst hofdamenhaft in Rot schillernd gewandet, spielte und sang am Samstag, den 1. Juni, der Tenor Juan Carlos Falcón, bekannt auch aus eher selten gespieltem Musiktheaterrepertoire wie Brittens Paul Bunyan, Cherubinis frisch entdecktem Koukourgi und Friedrich Cerhas Onkel Präsident. Gut möglich, dass die Regie mit der männlichen Besetzung der Herzoginnenrolle der prätentiösen Nostalgie deutscher Provinzialität ein ironisches i-Tüpfelchen setzen wollte …

Ein Plakat im Jahr nach der Uraufführung der Operette, die großen Zuspruch erfuhr (Charles Cheret, 1868, F p.d.)

Im Grunde ist es eine Eifersuchtsgeschichte, die alle drei Akte der von witzigen Kalauern geleiteten Operette umspannt: Die Großherzogin soll sich zum Vorteil ihres Rufs mit General Bumm liieren, doch gefällt ihr Fritz, dem das Bauernmädchen Wanda zugewandt ist, besser. Dem Oberbefehlshaber der kleinen Gerolsteinschen Garnison missfällt es seinerseits, dass die Gänsemagd Fritz zugeneigt ist. Da die beiden offensichtlich ineinander verliebt sind, kommt es der Herzogin gerade recht, eine Intrige gegen den Soldaten zu entspinnen und den Meuchelmord des Hofgesindes an ihm zu veranlassen, was, im Fortgang der Opéra Bouffe zwingend, misslingen muss. Gerade die permanenten sprachlichen Missverständnisse zwischen den Figuren sind es, die dem Libretto seine Würze verleihen: So erläutert General Bumm, gesungen von Alexander Grassauer, dem Hofstaat seine Strategie gegen einen Feind, den er nie physisch attackieren wird, auf dem Reißbrett, nimmt es aber wörtlich, als ihn die Großherzogin auffordert, fortzufahren und ist drauf und dran, sich mit seinem Tross aus der Versammlung zu verflüchtigen.

Wurde immer schon farbenfroh inszeniert: Offenbachs ‚Großherzogin‘ (1868, Stereokort, Musik- och teaterbiblioteket, Stockholm).
Der Videoperformer Raphael Kurig hatte bereits die Aufführung von Carl Orffs ‚Der Mond‘ in Andechs mitverantwortet (Indivisualist, 17.7.2015, CC-Liz.)

Ein medialer Coup gelang der Regie mit den beiden Videoexperten Raphael Kurig und Meike Ebert am Anfang, als die Charakteristika des Fürstentums Gerolstein in Folge von Filmsequenzen, feinsäuberlich portioniert, dem Publikum nahegebracht werden. So erfuhren die Zuhörer, dass das Herrschaftsgebiet der Herzogin nur einen Durchmesser von 1,8 Kilometern hat; und auch die Bewohnerzahl des Miniterritoriums ist eng begrenzt. Die Uraufführung fand in Paris 1867 statt, zu einer Zeit, als sich der schwelende Konflikt zwischen den europäischen Mächten, den deutschen Ländern und Frankreich verschärfte. Es wäre also ein Wunder gewesen, hätten sich die Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy nicht insgeheim oder unverhohlen über die Kleinstaaterei der Deutschen nebenan lustig gemacht einschließlich des „Vorurteils“, der Adel würde sich daselbst pausenlos von seinen Mundschenken mit Alkoholika bewirten lassen.

Mit ihrer gesanglichen Leistung berückten insbesondere die in Wien ausgebildete Sopranistin Julia Sturzlbaum als Magd Wanda, die durch das Kinderspielzeug rollender Gänse aus Holz symbolisiert wird, und Fritz, ihr geliebter Regimentssoldat, dargestellt von Ivan Turšić, und die voluminöse, aber auch in den tieferen Registern gut verständliche Bassstimme des Baron Grog, verkörpert von Alexander Franzen. Chor, Ballett und Orchester des vor nicht langem renovierten Gärtnerplatztheaters „sekundierten“ meisterhaft.

Weitere Termine:
8.6.2024, 19.30 Uhr U30
16.6.2024, 18.00 Uhr
21.6.2024, 19.30 Uhr
22.6.2024, 19.30 Uhr


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