Das Hören von Popularmusik, von stark chiffrierter oder auch von Musik mit hohem Abstraktionsgrad, ihre historisch basierte Reflexion und ihre Interpretation durch Musiker, Dirigenten und Wissenschaftler gehen im idealen Fall miteinander einher. Daher kann es sich lohnen, bereits neu erschienene und kommende Musikbücher in Augenschein zu nehmen.

Leider erst in diesem Frühjahr ist mit einem zahlreiche Aha-Erlebnisse versprechenden Aufsatzband unter dem Motto Analyse und Interpretation, herausgegeben von Bernd Asmus zu rechnen. Elf Autoren unterschiedlicher Provenienz beschäftigen sich eingehend mit markanten Einzelaspekten der notierten und ausgeübten Musik in der frühen Neuzeit, etwa zu einem Wiederholungsphänomen in der barocken und frühklassischen Instrumentalmusik, den Perfidia oder zum Einfluss des Hammerklavierklangs auf die Analyse durch eine Expertin für historische und moderne Klaviere, Katharina Olivia Brand. Von verschiedenen Herangehensweisen an die Interpretation im Jazz von der historischen Informiertheit bis zur modernen künstlerischen Forschung erfährt der Leser von Jazz-Fachmann Michael Kahr. Tamara Quick betrachtet aus übergeordneter Perspektive die Analyse theatermusikalischer Interpretationen.

Ein Lehrbeauftragter des Münchner musikwissenschaftlichen Instituts an der LMU, Klaus Peter Richter, verschrieb sich vor nicht langer Zeit der großen Aufgabe, Musikgeschichte einmal anders, nämlich in ihren (synchron zu betrachtenden) kulturhistorischen Zusammenhängen und unter Berücksichtigung ihrer Wirkung sowie musikphilosophischer, popularästhetischer, psychologischer und kunsthistorischer Aspekte neu aufzurollen, da die Bedeutung künstlerisch ausgeübter Musik, gleich um welches Genre es geht, im aktuell höchst ausdifferenzierten Kulturbetrieb zu erodieren droht. Es geht dabei aber nicht nur um die Einbettung in jeweils vorherrschende ästhetische Diskurse, sondern immer auch um die Verknüpfung mit ihrer historischen Basis. Die solcherart vorgelegte kontextuelle Erzählung ist sehr gut lesbar, sieht man von wenigen ontologischen Abschweifungen ab, und kann somit auch von Rezipienten nachvollzogen werden, die keine tiefergehende Kenntnis von Musiktheorie und Spielpraxis haben. Bedauerlicherweise verfügt der Band, beschäftigt man sich mit der Printversion, leider weder über ein Register noch Literaturverzeichnis und es ist kein Bildmaterial zur Demonstration beigegeben. Die Progression der Erzählung richtet sich nach den Sinngebungen chronologisch aufbauender Epocheneinschnitte, zum Beispiel der „Erfindung der Ästhetik“ im klassisch-romantischen Zeitalter oder der „(De-)Konstruktion“ in der technologisch geleiteten Moderne des 20. Jahrhunderts.

Einige musikwissenschaftlich interessierte Leser werden sich vielleicht noch an die deutschsprachige Darstellung Amerikanische Musik seit Charles Ives von Hermann Danuser, Dietrich Kämper und Paul Terse aus dem Jahr 1987 erinnern, die damals einzigartig, über Dekaden Gültigkeit beanspruchen konnte. Der neue Titel Musik der USA, herausgegeben von Professoren der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, dem Vertreter des Fachs Musikwissenschaft, Wolfgang Rathert und dem emeritierten der Amerikanischen Kulturgeschichte, Berndt Ostendorf, verfolgt, wie schon am Untertitel zu erkennen, eine andere Zielsetzung: Es geht nicht so sehr um eine Überblicksdarstellung verschiedener Phänomene, sondern mehr um „kultur- und musikgeschichtliche Streifzüge“, im Ansatz also durchaus vergleichbar mit Klaus Peter Richters Vom Sinn der Klänge. Die vier Kapitel orientieren sich an vier verschiedenen wichtigen Paradigmen: an der Ästhetik der populären Musik, den institutionellen und persönlichen Vernetzungen, der Emanzipation amerikanischer Musik vor allem von Europa und dem 20. Jahrhundert, das in der Musikgeschichtsschreibung als das „amerikanische“ verstanden wird. Eine systematisch aufbauende Gesamtdarstellung war angesichts der seit Jahren und rapide wachsenden hohen Dichte an wissenschaftlicher Literatur nicht möglich, verdienstvollerweise beinhaltet der Band aber eine synoptische Tabelle der Musikgeschichte der USA sowie einen Überblick über erschienene Aufsätze und Bücher zu den verschiedenen Themengebieten.