Rhythmisch getunt: Weihnachtsliedgut

Das Ensemble Münchner Saitentratzer verlegte zwei Tage vor Weihnachten 2023 den Gottesdienst am Heiligen Abend schon einmal vor. Es wurden alle weithin bekanntesten Lieder gespielt, allerdings in neuem Gewand. Es hat zudem bereits Tradition, dass das um zwei andere Musiker ergänzte Ensemble einmal in der Woche vor Weihnachten im Theater im Fraunhofer auftritt und tat dies mit sensibler Einstimmung vor allem auf seine Stammzuhörer und Gäste, die von hier eher Kabarett & Comedy gewohnt sind.

Weihnachtslieder einmal anders am 22.12.2023: mit zeitweise umfunktioniertem Hackbrett, Flöte, Kontrabass, Klarinette, Saxophon, Harfe und Folk-Soul-Stimme: die Formation Münchner Saitentratzer (Foto: H.-P. Mederer)

Gleichwohl bleibt bei den Auftritten der Gruppe der Humor, selbstironische Bemerkungen auf der Zunge, nicht auf der Strecke, etwa, wenn es um die Kommentierung des konventionellen Liedguts geht. Die Klarinette wird immer wieder schräg oder „leer“ angeblasen, das Saxophon nach Art eines Bordunbasses, wie man ihn aus spätbarocker Musik von der Drehleier und dem Dudelsack kennt, gewollt wie ein Didgeridoo gespielt, das Holz des Hackbretts traktiert Melanie Ebersberger, die auch verschiedene Blockflöten spielt, zusätzlich zu seiner Besaitung als Schlagzeug, der Kontrabass brummt lautmalerisch wie der Ochs‘ an der Krippe des Christkinds, schnarrt oder setzt im letzten Takt noch ein „schmissiges“ Glissando auf.

Jahreszeitgemäß präsentiert sich das Ensemble auch 2023: Weihnachtsklänge aus den Alpen und von anderswo (ASIN: B006DA5POM)

Eine in unterschiedlichen Fächern wie Volkslied und Soul gleichermaßen perfekt agierende Sängerin, Sarah Mettenleiter, inszeniert als adventlicher Verkündigungsengel, stimmt mit geschmeidigem, manchmal auch jazznahem Timbre in die Weihnachtstage ein, die Harfenistin Susanne Riedl setzt nicht nur akkordische Portato-Akzente und gewährleistet das harmonische Gerüst, sondern bringt auch glasklare Glissandi zu Gehör. Ein als Solist über München weit hinaus populärer Gast, Ulrich Wangenheim, zeigt sich experimentierfreudig an Altsaxophon und Klarinette. Der Arrangeur Martin Scharf, selbst verschiedene Spieltechniken am Kontrabass vorführend, ist nicht nur begnadeter Arrangeur, der eingängige melodische Phrasen mit „Schnörkeln“ wie Vorhalten oder Tremoli einbaut, sondern auch Komponist, was die Ergänzungen zur vierstimmigen Choralfaktur der – mit Ausnahme der sizilianischen Weise Oh du fröhliche – allesamt deutschsprachigen, vorzugsweise alpinen „Carols“ beweisen.

Von links nach rechts: Ulrich Wangenheim, Susanne Riedl, Sarah Mettenleiter, Melanie Ebersberger und Spiritus rector Martin Scharf im Theater Fraunhofer

Der rustikale Charakter der aus den Bergen kommenden weihnachtlichen Wiegenlieder, die ebenso bayerisches wie österreichisches Repertoire darstellen, schwappte an diesem Freitagabend in die Großstadt München über; das Ensemble, das auch im Bayerischen Fernsehen präsent ist, zeigt sich deutlich den Traditionen des Oberlandes verpflichtet. Bei dem einen oder anderen Liedsatz wäre eventuell noch mehr Differenzierung in den Rhythmusklangfarben angebracht gewesen, was der Unterhaltsamkeit des anheimelnd gestalteten Abends inklusive dreier (!) Zugaben, bei denen Stille Nacht nicht fehlen durfte, keinerlei Abbruch tat.


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