
Wenn man einmal von Skifahrern absieht, so betrachtet der urlaubsverwöhnte, klischeegerechte Vertreter des europäischen Mittelstandes, orientiert an den drei Kategorien Sommer, Sonne und Strand, den Winter eher als Tabuthema; für sie oder ihn gilt es, die kürzer werdenden Tage ebenso wie die widrige Witterung möglichst bald hinter sich gebracht zu haben. Vielleicht ignorieren manche ihn auch komplett und stellen sich in ihren täglichen Verrichtungen und Freizeitbetätigungen einfach gar nicht um.

Allerdings führt auch für sie kein Weg am ganz ansehnlichen Musikrepertoire über die ihrer Unbill wegen gerne verdrängte Jahreszeit vorbei. Bekanntermaßen lancierten Komponisten seit der romantischen Periode öfter einmal symphonische Beiträge zum Winter als ganzem, in den davorliegenden Jahrhunderten eher zu den spezifischeren – und nicht zuletzt kommerziellen – Aspekten von Weihnachten als christlichem Fest, wobei es an innovativen Ideen ebensowenig mangelt. Gut im Ohr sind weithin neben Carol-Evergreens aus den USA Entwürfe wie William Henry Frys Santa Claus Symphony (1853), Frederick Delius‘ Winter Night oder Schlittenfahrt (1887/88) und etwa Josef Suks elegantes und gleichzeitig glühendes op. 9 Pohádka zimniho vecera, auch bekannt unter dem englischen Titel Tale of a Winter’s Evening (1894) auf der Grundlage von Shakespeares Stück The Winter’s Tale, eine von den frühen Orchesterkompositionen des im kaiserlichen Österreich-Ungarn nahe von Prag geborenen Wegbereiters der tschechischen Moderne. Auf der Basis von Weihnachtsliedern entstand Mitte der 1920er Jahre ein weiteres Orchesterwerk, A Carol Symphony, von dem in Südafrika geborenen britischen Komponisten Victor Hely-Hutchinson.
Hier sprechen wir von seit den Anfängen der romantischen Ära programmatisch geleiteten Werken, doch gab es natürlich auch zuvor Musik, die den Winter in ein akustisches Gewand zu hüllen suchte, gar nicht zu sprechen von der entsprechenden Konzert in f-Moll ‚L’inverno‚ op. 8, no. 4 aus Vivaldis Zyklus von Violinkonzerten Le Quattro Stagioni (1725), dem ein poetisches Programm im Anschluss an die populäre Hirtendichtung des 17. Jahrhunderts eines Guarini oder Tasso zugrunde liegt und das keine breitflächige Stimmungsmalerei beabsichtigt. Entsprechend wird der Winter mehr als Phänomen mit Realismus beschrieben „nachvollzogen“), und die mittelalterliche zyklische Vorstellung vom Ablauf der Jahreszeiten ist hier noch ganz präsent, nicht zu vergessen deutlich später in der musikalischen Typisierung von Joseph Haydns Oratorium Die Jahreszeiten, uraufgeführt 1801.



Von programmgeleiteter Musik zu unterscheiden ist Tonmalerei, wie sie in der Nachahmung belebter Natur bereit seit der Renaissance vorkommt. Mit Schwung und Spaß charakterisierte Jean Philipp Rameau in seinen Cembalostücken nicht nur Tiere, sondern auch Tiere oder Gaukler und Sänger auf einem Jahrmarkt. Der kühlsten Jahreszeit werden auch bestimmte Genres zugeschrieben wie in Giacomo Meyerbeers Le prophète (1849) ein „Winterballett„, das jedoch nicht die unliebsamen Seiten der Saison aufgreift, sondern anhand einer Schlittschuhfahrt in romantischer Verklärung den Winter gar als idyllisch und tänzerisch-fröhlich illustriert. Ähnliches attestierte Peter I. Tschaikowsky auf der Basis seiner Neigung zu St. Petersburg und dessen langer winterlicher Kulturtradition inklusive Pferdeschlittenfahrt der grimmig kalten Jahreszeit sowohl in der 1. Symphonie g-Moll mit dem programmatischen Titel Winterträume (1866) als noch deutlich später im allseits populären Ballett Der Nussknacker, das seine Uraufführung 1892 erlebte.
Heitere Züge eignet der Winterdarstellung neben temporärem Pfeifen frostigen Windes (in Frys Santa Claus Symphony) bei den amerikanischen Komponisten im weiteren 19. und im 20. Jahrhundert; daran durfte auch der Filmmusikkomponist Alan Silvestri in der zum Klassiker gewordenen Kinderbuchverfilmung Der Polarexpress anknüpfen; dieser Zug erfuhr bekanntlich irgendwann seine Kommerzialisierung zum Co**-Co**-Express …