Am Puls der Praxis

Das tägliche Brot der Komponisten ist die Filmmusik. Vor den Bildern, die laufen lernten, waren es die Zwischenaktmusiken für das Theater. Aus der Not geboren scheint daher der Tribut der Ausbildung an die Praxis. Und auch Münchens Hochschule für Musik und Theater dient zu einem gewichtigen Teil der beruflichen Praxis: Am vergangenen Freitag konnte man im großen Saal der Reaktorhalle in der Luisenstraße mit Ohr und Auge direkt den Puls der Gegenwart klopfen hören.

Filmmusikalische Momente mit dem VOLTA Ensemble der HMTM (H.-P. Mederer, 21.7.2023)

Acht ungewöhnliche Künstler präsentierten ihre Vertonung von Animationsfilmen, die aus der ideenreichen Werkstatt der Filmhochschule München kamen. Interessant war einmal der Umstand, dass nahezu die Hälfte der kreativen Komponisten ihre Werke zum laufenden Film selbst dirigierten, zweitens, dass es zwei Doppelvertonungen gab:

Der aufschreckende Horrorstreifen Slynx, der in Wahrheit die Konfrontation mit den Schreckgespenstern der eigenen Einsamkeit abbildet, erfuhr einmal die Gestaltung durch Arezou Rezaei und später im Programm zu hören, die noch filigranere und an die Faktur des Comicfilms angepasste durch Yann Windeshausen, der unter anderem ein mit Pizzicatotechnik bearbeitetes Hackbrett und eine ebenso gespielte Zither in seine Instrumentierung eingebaut hatte.

Wasser, Licht und Klang: Installation am Alcázar, Córdoba (Toni Castillo Quero, 12.6.2011, CC-Liz.)

Auch der Film Error 314 lag in zwei Filmmusikversionen vor: einmal in der sehr stimmigen beseelt-unbeseelten Klanggebung der Komponistin Eva Kuhn, später durch die Vertonung von Fabian Blum, der wie seine Kommilitonin der Klasse von Prof. Moritz Eggert angehört. Der kurze Streifen versetzt den Zuschauer in die imaginierte Endphase des Energieverbrauchs auf unserem Planeten als maximalem Punkt der Ressourcenausbeutung: Den Robotern, die nach der Menschheit noch übrig geblieben sind, geht die Luft und damit der Akku aus; alleine eine lichtspendende Pflanze kann ihren Untergang abwenden.

Der vielseitige Musiker Yann Windeshausen trat nicht nur ans Pult, um seine eigene Komposition hören zu lassen, er spielte im übrigen selbst die Trompete im HMTM-eigenen Ensemble VOLTA, das die Filme mit hoher Expressivität und Originalität in der Ausführung begleitete.

Moritz Eggert, der Leiter der Kompositionsklasse, für die Eva Kuhn und Yann Windeshausen auftraten (Susanne Diesner, 19.8.2016, CC-Liz.).

Als Besonderheit seien hier auch das erzählende Opus La luz es como el agua nach einem Romantitel Gabriel García Márquez‘ von der Animationsexpertin Ariane Emmerich sowie einem Kompositionsschüler der Klasse von Gerd Baumann, Jiro Yoshioka, genannt, das Wasser und Licht als verwandte physikalische Phänomene behauptet, ebenso der Film Blue, zu dem Lukas Stipar seine sehr individuelle und angemessene Vertonung präsentierte.

Akustische Einblicke in tagesaktuelle Sound Designs, die zwischen spätromantischer Tonalität und Avantgarde des 21. Jahrhunderts oszillieren und auch Momente des Bigband Sounds einbeziehen, hinterließen ein begeistertes Publikum, das gleichermaßen dem präzise und berückend spielenden Ensemble VOLTA applaudierte. Und nicht zuletzt dürften die Besucher von der Moderation Prof. Mark Pogolskis und den Anmerkungen von Prof. Moritz Eggert, dem Leiter der Klasse, die für Filmmusik zuständig ist, einiges Erhellende mehr mitgenommen haben.


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