Das Musical „Mata Hari“ am Münchner Gärtnerplatztheater:
Sie war manches in einem: eigenwillige Tanzkünstlerin, Asienimmigrantin, eigenwillige Frau, Spionin aus Not. Von der deutschen Seite, für die sie vermutlich aus Geldnot im Ersten Weltkrieg Frankreich ausspionierte, wurde sie als Opfer des französischen Militarismus hingestellt und erfuhr romantische Verklärung. Aus dieser kann sie auch Marc Schubrings und Kevin Schroeder Musical mit ihrem Künstlernamen, das derzeit am glanzvoll renovierten Gärtnerplatztheater in München zu sehen ist, nicht befreien.

Vielmehr bleibt die Legende bestehen. Gemessen an dem wenigen, was über die historische Figur der Holländerin Margaretha Zelle bekannt ist, wird die geschickt gewählte Episode ihrer unglücklich verlaufenden Ehe mit einem Landsmann und Offizier im heutigen Indonesien und mit einem kranken und früh versterbenden Kind in der damals von Aufständen betroffene niederländische Kolonie Ostindien ins Individuelle entrückt. Allerdings gelingt es weder dem Libretto noch der musikalischen Gestaltung, auf pathetische Momente zu verzichten. Im ersten Teil blitzen motivische Elemente aus Bernstein-Musicals auf, die freilich der überragenden New Yorker Tradition geschuldet sind und deshalb nur an die Basis erinnern. Die Komposition selbst ist zeitgemäß für das 21. Jahrhundert, harmonisch dicht und vielschichtig, nimmt Anleihen bei Postmoderne und dem italienischen Verismo.

Man kann sich fragen, ob das als „Verismo Pop Musical“ deklarierte Werk von 2023 aus der Werkstatt des überaus versierten Komponisten Marc Schubring nach dem Text von Kevin Schroeder den Fakten aus dem Leben der exzentrischen Performance-Künstlerin Mata Hari gerecht wird, doch ist der Fokus auf das sich unserem Wissen entziehende Private eine probate literarische Lösung, um den Mythos nicht zu bedienen. Es bleiben aber Fragen, etwa diejenige, was mit den Zwischenaktnummern im Stil des neuesten Schlagers (und nicht wie die Genre-Einordnung vage andeutet, des Pop im allgemeinen) beabsichtigt wurde: das Stück für US-amerikanische und britische Bühnen tauglich zu machen? Die Sängerin dieser Passagen lässt trotz ihrer sehr voluminösen Musicalstimme den Unterschied zum Liedgut eines allseits bekannten deutschen Schlagerstars verschwimmen.
Am Rande mag manche(r) den Eindruck gewinnen, dass Kostüme und Bühnenbild eine etwas willkürliche optische Mixtur darstellen, da es wohl sehr aufwändig gewesen wäre, mit authentischen Vorlagen der 1910er Jahre zu arbeiten. Vielmehr sollte die Brücke zu Stiltrends der vergangenen vierzig Jahre bis zu den 2020ern geschlagen werden, was sich an den Space- und Silberglitzer-Outfits der Zwischenakttänzer aus den 1980er Jahren deutlich zeigt. Weniger mit pompösem Pop aufgetakelt, aber historisch eindeutiger wären Bühnenbild und Kostümierung jedenfalls auch adäquat gewesen.